Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
Vorgabewert, der benutzt wird, wenn keine Einstellung vorgenommen wird. In Verbindung mit dem Wort »mode« wird damit jene Art der Hirntätigkeit bezeichnet, die auftritt, wenn keine konkrete Aufgabe zu lösen ist. Immer dann, wenn uns eine Situation keine Reaktionen abverlangt oder nur Routinehandlungen erfordert, so dass geistige Ressourcen zur Verfügung stehen, nutzen wir diese zum Erinnern, Nachdenken, Planen.
In einem Übersichtsartikel zum Default-Modus von Buckner et al. (2008) wird dies unter dem Begriff der Selbstprojektion auf einen Nenner gebracht. Wir versetzen uns in die Vergangenheit oder Zukunft, projizieren uns in eine andere Situation oder Person. Der biologische Nutzen dieser Fähigkeit zur Simulation von Szenarien liegt auf der Hand: Wir können vergangene Situationen auswerten und daraus für zukünftige Situationen lernen, mit welchem Verhalten wir vermutlich am ehesten unsere Ziele erreichen. Wir können verschiedene Handlungsalternativen im Geiste durchspielen und uns in die beteiligten Personen hineinversetzen, um ihre Reaktion auf unser Verhalten abzuschätzen (Schilbach et al., 2008).
Für erfolgreiches Handeln ist diese Fähigkeit zur Simulation möglicher Konstellationen ein so großer Vorteil, dass wir sehr viel Zeit damit verbringen. Wenn wir in Gedanken unterwegs sind (Engl. mind wandering ), sind wir jedoch nicht vollständig präsent. Oft ist nur ein Teil unserer Aufmerksamkeit mit dem beschäftigt, was wir gerade tun, denn in Gedanken sind wir bereits bei dem, was wir danach vorhaben. Dieser Form der Aufspaltung wird in der Meditation entgegengewirkt. Auftauchende Gedanken sollen lediglich als solche wahrgenommen und nicht weiterverfolgt werden; am Ende soll das Denken ganz zur Ruhe gebracht werden.
Meditation als Hemmung des Default-Modus
Die Möglichkeit, vom gegenwärtigen Moment und der aktuell gegebenen Situation zu abstrahieren, Vergleiche mit früheren Konstellationen vorzunehmen, Erwartungen zu bilden und vorab durchzuspielen, sich in andere hineinzuversetzen, um ihre Reaktionen zu antizipieren – all dies sind zweifellos bemerkenswerte Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Problematisch wird diese Art der Geistestätigkeit erst dann, wenn sie sich verselbständigt und die Lebensqualität darunter leidet; wenn wir nicht abschalten können, obwohl wir dies gerne möchten; wenn wir nie bei der Sache sind, die wir gerade tun, sondern im Geiste schon den nächsten Schritt planen und so den Kontakt zur lebendigen Gegenwart verlieren.
Achtsamkeitsmeditation zielt darauf ab, die gesamte Aufmerksamkeit auf das zu richten, was gerade in diesem Augenblick an Erfahrungen gegeben ist. Alle Prozesse des Default-Modus, die uns von der Gegenwart in eine vorgestellte, projizierte, »simulierte« Wirklichkeit entführen, müssen dazu unterbunden werden. Somit kann Meditation als eine Hemmung des Default-Modus konzipiert werden, deren Erfolg objektiv daran festgemacht werden kann, dass die Aktivität in den entsprechenden Hirnregionen reduziert wird.
In einer eigenen Studie an der Universität Gießen durchliefen zehn Personen mit langjähriger Meditationspraxis und zehn Kontrollpersonen zwei Versuchsphasen. Während sie in der Röhre eines Magnetresonanztomographen (MRT) lagen, sollten sie zunächst für zwanzig Minuten jeden Gedanken verfolgen, der ihnen spontan in den Sinn kam (Tagträumen). Anschließend folgte eine zwanzigminütige Phase, in der Atemachtsamkeit geübt werden sollte. Im mittleren präfrontalen Cortex, dem vorderen Anteil des Default-Modus-Netzwerkes, nahm die Aktivität deutlich ab, sobald die Meditation begann. Diese Reduktion der Hirnaktivität hielt bei der Kontrollgruppe nur wenige Minuten an und kehrte dann zum Ausgangsniveau zurück. Demgegenüber gelang es den erfahrenen Meditierenden, die Aktivität in dieser Region fast über den gesamten Zeitraum der Atemachtsamkeit zu senken (Ott et al., 2010).
In zukünftigen Studien wird untersucht werden, wie sich die Fähigkeit zur Hemmung des Default-Modus im Zuge der Übungspraxis entwickelt und stabilisiert.
Umgang mit Ablenkungen
Bei jedem Gedanken, der im Bewusstsein auftaucht, besteht das Risiko, dass dieser weitere Assoziationen auslöst und sich so eine Kette von Gedanken bildet, die den Meditierenden von der Meditationsaufgabe wegführen. Um zu untersuchen, wie schnell die Kette der Assoziationen unterbrochen wird, verwendeten Pagnoni et al. (2008) Wörter, die auf einem Bildschirm dargeboten wurden.
Weitere Kostenlose Bücher