Meditation
hältst du dich? Welche Qualitäten besitzt du? Wie geht es mit deiner Meditation voran? Solche Fragen sind sinnlos. Sie setzen voraus, dass es so etwas wie »ich« und »mein« gibt und man sich darüber Urteile bilden kann. Wenn wir solche Urteile ernst nehmen, bescheren sie uns nur Leid. Das habt ihr alle schon viel zu oft gemacht. Stellt euch keine Zeugnisse aus, an die ihr dann glaubt. Seid einfach frei.
Frei sein heißt, dass ihr eure Vergangenheit nicht ernst nehmt. Und was ist Vergangenheit überhaupt? Sie besteht aus euren Erinnerungen, und Erinnerungen sind nur ein Eindruck von der Vergangenheit – was wirklich passiert ist, wisst ihr nicht. Wenn ihr bei guter Laune in die Vergangenheit blickt, fallen euch die schönen Dinge ein; seid ihr in schlechter Stimmung, erinnert ihr euch an das, was schiefging. Der Blick in die Vergangenheit ist seiner Natur nach selektiv, und euch kommt nur das in den Sinn, was zu eurer gegenwärtigen Stimmung passt. Wer in ein buddhistisches Kloster eintritt und sich ordinieren lässt, der denkt: »Was für ein schöner Ort, wirklich erstaunlich, dass nicht alle hierherkommen.« Wenn er andere austreten sieht, denkt er: »Wie kann man nur das Mönchsgewand ablegen? Hier ist es doch so schön. Er muss verrückt sein, er hat den Verstand verloren.« Dann kommt der Tag, an dem er selbst austritt, und jetzt denkt er: »Wie kann man nur in diesem miesen Laden bleiben? So was Ätzendes! Das ist wirklich ein lausiges Kloster hier, die reine Gehirnwäsche, sehen die Leute das nicht?« Er betrachtet von seiner gegenwärtigen Stimmungslage aus die Vergangenheit, in diesem Fall seine gesammelten Erinnerungen an das Klosterleben. Darauf könnt ihr nicht bauen. Und worauf man nicht bauen kann, das nimmt man besser nicht ernst.
Was ihr nicht ernst nehmen könnt, das »nehmt« ihr besser überhaupt nicht. Lasst es ziehen und seid frei. Setzt eure Weisheit ein, euer Wissen um die Natur der Vergangenheit, um absolut, vollkommen, hundert Prozent frei zu sein. Dann sind wir alle zusammen auf diesem herrlichen ebenen Spielfeld – keine großartigen Meditierer, keine armseligen Meditierer. In diesem gegenwärtigen Augenblick der Meditation unterscheide ich mich in nichts von irgendeinem anderen. Ist es nicht großartig, frei zu sein und nicht einmal eine Reputation zu haben? Nichts, dem man gerecht werden müsste, nichts, weswegen man Sorgen oder Gewissensbisse haben müsste, nichts, was in Ordnung zu bringen wäre. Wenn ihr so denkt und meditiert, in Frieden und ohne Lasten auf dem Rücken, ist Meditation sehr einfach.
Es gibt Menschen, die den Misserfolg regelrecht aufbauen. Sie glauben, in der Vergangenheit versagt zu haben, und sehen sich jetzt als Menschen, denen nur Misserfolg bestimmt ist. Aus meiner Zeit als Schullehrer erinnere ich mich an ein Experiment, bei dem Schüler von gleich hoher Intelligenz in zwei Gruppen eingeteilt wurden, Klasse A und Klasse B. Den Kindern der A-Klasse hatte man zu verstehen gegeben, sie seien jetzt in der Klasse für die Schlaueren, weil sie bei Prüfungen besser abgeschnitten hatten. Die B-Kinder dagegen mussten sich in der Dummkopfklasse fühlen, angeblich weil ihre Prüfungsergebnisse schlechter waren – was wie gesagt nicht zutraf. Tatsächlich waren alle Kinder von ungefähr gleichem Leistungsstand gewesen, aber jetzt nach der Trennung zeigte sich, dass die Leistungen der A-Kinder immer besser und die der B-Kinder immer schlechter wurden. Behaltet diesen Effekt gut im Auge. Wenn ihr einmal anfangt, euch als Versager zu sehen, die irgendwie nicht meditieren können, wird das der Grund, weshalb ihr es dann tatsächlich nicht könnt. Werft das alles weg, lasst euch gar nicht erst darauf ein. Macht euch klar, dass ihr nie etwas anderes als diesen Augenblick habt, und macht euch dadurch frei von der Vergangenheit. Freut euch daran, einfach nur hier zu sein, wie eure Erfahrung auch gerade aussehen mag.
Übt es, und ihr werdet sehen, dass sogar Schmerz von eurer Haltung abhängt, von eurer Sicht der Dinge. Der Buddha trägt uns auf, Dukkha wirklich ganz zu erkennen. Wenn ihr ganz im gegenwärtigen Augenblick seid, könnt ihr sagen: »Ich kenne dich, Mara«, und der Schmerz verschwindet. Einen Menschen, einen Ort, eine Situation zu verändern, das kann sehr schwierig sein, aber ihr müsst es gar nicht. Ändert eure Sicht der Dinge, das ist viel einfacher. Ihr braucht nur einen neuen Blickwinkel, einen Augenblick der Weisheit, und alles stellt sich anders
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