Medizin für Melancholie
eine Weile da, bevor er es wagte, mit den harten Spitzen seiner Finger über das kalte Metall des überladenen Kopfbrettes zu streichen, über die Saiten dieser Leier, die im Laufe der Jahre so viele wilde, schöne Lieder gesungen hatte.
»Das ist keine Zirkusorgel«, antwortete er.
»Sie quietscht aber genauso«, sagte Maria. »Eine Milliarde Menschen in dieser Welt haben heute nacht ein Bett. Ich frage die Heiligen, warum nicht auch wir?«
»Dies ist ein Bett«, erwiderte Antonio sanft. Er zupfte eine kleine Melodie auf der Messingimitation einer Harfe hinter seinem Kopf. Für ihn klang es wie Santa Luda.
»Dieses Bett hat Höcker, als stünde eine Kamelherde darunter.«
»Aber Mama«, mahnte Antonio. Er nannte sie immer Mama, wenn sie gereizt war, obwohl sie keine Kinder hatten. »Bis vor fünf Monaten, als Frau Brancozzi unten im Haus ihr neues Bett abholte, bis du nie so gewesen«, fuhr er fort.
»Frau Brancozzis Bett«, sagte Maria wehmütig. »Das ist wie Schnee. Es ist ganz flach und weiß und weich.«
»Ich will keinen Schnee, verdammt noch mal. So was Flaches und Weiches. Fühl mal diese Sprungfedern!« rief er ärgerlich. »Sie kennen mich. Sie merken, daß ich um diese Zeit der Nacht so liege und um zwei Uhr so. Um drei Uhr wieder anders und um vier Uhr ebenfalls. Wir sind wie eine Trapeznummer; wir haben seit Jahren zusammen gearbeitet und kennen jeden Griff und jeden Sprung genau.«
Maria seufzte. »Manchmal träume ich, wir sind in der Sahnebonbonmaschine in Bartoles Süßigkeitsladen.«
»Dieses Bett«, verkündete er in die Dunkelheit hinein, »hat unserer Familie schon vor Garibaldi gedient! Aus dieser Quelle sind Bezirke ehrbarer Wähler hervorgegangen, eine Abteilung adrett salutierender Militärs, zwei Konditoren, ein Barbier, vier zweite Besetzungen für den Troubadour und den Rigoletto und zwei so vielseitige, geniale Männer, daß sie sich nie entscheiden konnten, was sie mit ihren Leben anfangen sollten! Nicht zu vergessen genügend schöne Frauen, um ganze Ballsäle mit ihnen zu schmücken. Ein wahres Füllhorn, eine Sämaschine, dieses Bett!«
»Wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet«, sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme. »Wo sind unsere Zweitbesetzungen für den Rigoletto, unsere genialen Männer, unsere Ballsaalschönheiten?«
»Geduld, Mama.«
»Nenn mich nicht Mama! Dieses Bett verhätschelt dich die ganze Nacht lang, aber mich nie. Nicht einmal ein kleines Mädchen!«
Er richtete sich auf. »Du hast dich von dem dummen Geschwätz der Frauen in diesem Haus ganz verrückt machen lassen. Hat Frau Brancozzi etwa Kinder? Sie und ihr neues Bett, das sie schon fünf Monate lang hat?«
»Nein, aber bald! Frau Brancozzi sagt… und ihr Bett… so schön.«
Er warf sich wieder hin und zog ruckartig die Decken über sich. Das Bett schrie, als jagten alle Furien über den Nachthimmel hin, um gegen die Morgendämmerung hin zu verschwinden.
Der Mond verschob das Muster des Fensters am Boden. Antonio erwachte. Maria lag nicht neben ihm.
Er stand auf und schaute durch die halboffene Tür des Badezimmers. Seine Frau stand vor dem Spiegel und betrachtete ihr müdes Gesicht.
»Ich fühle mich nicht wohl«, sagte sie.
»Weil wir uns gestritten haben.« Er streckte die Hand aus und tätschelte sie. »Es tut mir leid. Laß uns noch einmal darüber nachdenken. Über das Bett, meine ich. Wir werden sehen, ob das Geld reicht. Und wenn dir morgen nicht besser ist, gehst du zum Doktor, ja? Nun komm zurück ins Bett.«
Am nächsten Tag ging Antonio um die Mittagszeit vom Sägewerk fort zu einem Schaufenster, hinter dem schöne neue Betten mit einladend zurückgeschlagenen Decken standen.
»Ich bin ein Biest«, flüsterte er vor sich hin.
Er blickte auf seine Uhr. Maria ging sicher gerade zum Arzt. Sie hatte am Morgen wie Magermilch ausgesehen; darum hatte er sie zum Arzt geschickt. Er ging weiter zur Auslage eines Süßigkeitenladens und sah zu, wie die Sahnebonbonmaschine einen Faden drehte und in die Länge zog. Ob die Karamelmasse wohl schreit? fragte er sich. Vielleicht, aber so hoch, daß wir es nicht hören können. Er lachte. Dann erblickte er in der langgestreckten Karamelmasse Maria. Er wandte sich finster ab und kehrte zum Möbelgeschäft zurück. Du Bett da drinnen, dachte er, neues Bett, kennst du mich? Wirst du nachts zu meinem Rücken freundlich sein?
Er holte langsam seine Brieftasche heraus und zählte das Geld. Er seufzte, starrte langsam auf das Kopfende aus
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