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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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falschem Marmor, auf jenen so ganz fremden Feind, das neue Bett. Dann ging er mit hängenden Schultern in den Laden; er hielt das Geld lose in der Hand.
    »Maria!« Er lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf. Es war neun Uhr abends. Man hatte ihm erlaubt, mitten in seinen Überstunden im Sägewerk nach Hause zu gehen. Er stürzte lächelnd durch die offene Tür.
    Die Wohnung war leer.
    »Ach«, sagte er enttäuscht. Er legte die Quittung für das neue Bett auf den Schreibtisch, wo Maria sie finden konnte, wenn sie hereinkam. An den wenigen Abenden, wenn er noch spät arbeitete, besuchte sie Nachbarn unten im Haus.
    Ich will sie suchen, dachte er und blieb stehen. Nein. Das will ich ihr allein sagen. Ich warte lieber. Er setzte sich auf das Bett.
    »Altes Bett«, sagte er. »Leb wohl. Es tut mir sehr leid.« Nervös streichelte er die Messinglöwen. Er schritt auf und ab. Nun komm schon, Maria. Er malte sich ihr Lächeln aus.
    Er wartete auf ihre raschen Schritte auf der Treppe, aber er hörte nur langsame, gleichmäßige Tritte. Er dachte, das ist nicht meine Maria, so langsam geht sie nicht, nein.
    Der Türgriff drehte sich.
    »Maria!«
    »Du bist früh zurück!« Sie lächelte ihm glücklich zu. Ahnte sie schon etwas? Stand es auf seinem Gesicht geschrieben? »Ich war unten«, rief sie, »und habe es allen erzählt!«
    »Allen erzählt?«
    »Der Arzt! Ich war beim Arzt!«
    »Beim Arzt?« Er sah sie verständnislos an. »Und?«
    »Und, Papa, und…«
    »Meinst du wirklich, Papa?«
    »Papa, Papa, Papa!«
    »Oh«, sagte er leise, »darum bist du so vorsichtig die Treppe heraufgekommen.«
    Er nahm sie in die Arme, aber nicht zu fest, küßte ihre Wangen, schloß die Augen und schrie. Dann mußte auch er noch ein paar Nachbarn wecken und es ihnen erzählen, sie schütteln und es noch mal erzählen. Ein bißchen Wein gehörte dazu und ein paar vorsichtige Walzerdrehungen; er mußte sie umarmen, zitternd küßte er ihr die Stirn, die Lider, Nase, Lippen, Schläfen, Ohren, Haar und Kinn – und dann war es Mitternacht.
    »Ein Wunder«, sagte er.
    Die Luft im Zimmer war noch warm von den Leuten, die eine Minute zuvor hier gewesen waren, lachend und schwatzend. Jetzt waren sie beide allein.
    Als er das Licht ausdrehte, bemerkte er die Quittung auf dem Schreibtisch. Ein wenig benommen überlegte er, wie er ihr diese weitere Neuigkeit auf möglichst geschickte und beglückende Weise beibringen konnte.
    Maria saß auf ihrer Seite des Bettes im Dunkeln, starr vor Staunen. Sie bewegte die Hände, als sei ihr Leib eine auseinandergenommene Puppe, die nun wieder zusammengesetzt werden mußte, Glied für Glied, und ihre Gesten waren so langsam, als lebte sie unter einem warmen, nächtlichen Meer. Endlich lehnte sie sich vorsichtig, um sich nicht zu zerbrechen, ins Kissen zurück.
    »Maria, ich muß dir etwas sagen.«
    »Was?« fragte sie matt.
    »Jetzt, da es so um dich steht«, er drückte ihre Hand, »verdienst du die Behaglichkeit, die Ruhe und Schönheit eines neuen Bettes.«
    Sie stieß keinen Freudenschrei aus, drehte sich auch nicht um oder faßte ihn bei den Schultern, sondern schwieg nachdenklich.
    Er mußte also fortfahren. »Dieses Bett ist ja nur eine quietschende Zirkusorgel.«
    »Es ist ein Bett«, sagte sie.
    »Unter ihm schläft eine ganze Kamelherde.«
    »Nein«, antwortete sie ruhig. »Aus ihm werden Bezirke ehrbarer Wähler hervorgehen, Offiziere für drei Armeen, zwei Ballerinen, ein berühmter Rechtsanwalt, ein besonders langer Polizist und sieben Bässe, Altstimmen und Sopranistinnen.«
    Er schielte durch das schwach beleuchtete Fenster zur Quittung auf dem Schreibtisch hinüber und berührte die abgenutzte Matratze unter sich. Die Sprungfedern bogen sich und schmiegten sich an jeden müden Muskel, jeden schmerzenden Knochen.
    Er seufzte. »Ich streite ja nie mit dir, meine Kleine.«
    »Mama«, sagte sie.
    »Mama«, wiederholte er.
    Dann schloß er die Augen, zog die Decke über seine Brust und lag im Dunkeln neben dem großen Brunnen, im Angesicht einer Versammlung grimmiger metallener Löwen, bernsteinfarbener Ziegen, lächelnder Wasserspeier, und horchte. Und dann hörte er es. Zuerst war es sehr weit fort, sehr zaghaft, aber während er lauschte, kam es näher.
    Maria hatte einen Arm hinter ihren Kopf zurückgelegt und begann ganz leicht mit den Fingerspitzen auf den glänzenden Saiten der Harfe, auf den schimmernden Messingpfeifen des uralten Bettes einen kleinen Tanz zu spielen. Die Melodie – ja,

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