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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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legte dem Knaben seine Hand auf den Kopf. Aber der schüttelte sie unwirsch ab. »Ich fand es nur merkwürdig, daß der Junge schon so früh auf ist.«
    »Der versteht was von Kunst, das lassen Sie sich gesagt sein«, fuhr der Verteidiger des Knaben, ein gewisser Grigsby, fort. »Wie heißt du, Kleiner?«
    »Tom.«
    »Tom wird tüchtig und ordentlich ausspucken, stimmt’s, Tom?«
    »Jawohl, das werd ich!«
    Das Lachen setzte sich in der Reihe der Wartenden fort.
    Weiter vorn verkaufte jemand heißen Kaffee in angeschlagenen Tassen. Tom sah das kleine Feuer und das Gebräu, das in einem verrosteten Topf brodelte. Es war kein richtiger Kaffee. Es war ein Getränk aus Beeren, die in den Wiesen hinter der Stadt wuchsen, und für einen Penny die Tasse zu haben, um den Magen zu wärmen; aber nicht viele kauften es, nicht viele waren so wohlhabend.
    Tom starrte dorthin, wo die Reihe hinter einer zerbombten Mauer zu Ende war.
    »Man sagt, sie lächelt«, bemerkte der Junge.
    »Ja, das tut sie«, bestätigte Grigsby.
    »Man sagt, sie sei aus Öl und Leinwand gemacht.«
    »Stimmt. Und darum denke ich, es ist nicht die echte. Die echte, habe ich gehört, wurde vor langer Zeit auf Holz gemalt.«
    »Es heißt, es sei vier Jahrhunderte alt.«
    »Vielleicht noch älter. Niemand weiß, in welchem Jahr wir sind.«
    »Im Jahre 2061!«
    »Ja, das behaupten sie, mein Junge. Aber sie lügen. Es könnte, soviel wir wissen, ebensogut das Jahr 3000 oder 5000 sein. Eine Zeitlang ist es hier schrecklich zugegangen. Uns sind nur noch die Trümmer geblieben.«
    Sie gingen schlurfend auf den kalten Steinen der Straße weiter.
    »Wie lange dauert es noch, bis wir sie sehen?« fragte Tom unruhig.
    »Nur noch ein paar Minuten. Sie haben sie hinter vier Messingpfeilern und Samtstricken aufgebaut, ganz kunstvoll, um die Leute zurückzuhalten. Aber paß auf, Tom: keine Steine! Sie erlauben nicht, daß man mit Steinen nach ihr wirft.«
    »Ja, Sir.«
    Die Sonne stieg höher und brachte Wärme, in der die Männer ihre schmutzigen Mäntel und ihre fleckigen Hüte ablegten.
    »Warum stehen wir eigentlich hier an?« fragte Tom schließlich.
    »Warum kommen wir her, um auszuspucken?«
    Grigsby sah nicht zu ihm hinunter, sondern blickte zur Sonne auf. »Tja, Tom, dafür gibt es ne Menge Gründe.« Er griff zerstreut nach einer Tasche, die seit langem abgerissen, nach einer Zigarette, die nicht da war. Tom hatte diese Geste unzählige Male beobachtet. »Das hat etwas mit dem Haß zu tun, Tom. Haß auf alles, was in der Vergangenheit war. Ich frage dich, Tom, wie sind wir in diese Lage gekommen, die Städte Schrotthaufen, die Straßen von Bomben aufgerissen, und die Hälfte der Kornfelder glüht nachts vor Radioaktivität. Ich frage dich, ist das nicht eine scheußliche Bescherung?«
    »Ja, Sir, das ist es wohl.«
    »Und darum, verstehst du, Tom, haßt man alles, was einen so zusammengeschlagen und zugrunde gerichtet hat. Das ist nun mal die menschliche Natur. Es ist vielleicht gedankenlos, aber trotzdem menschlich.«
    »Es gibt kaum etwas, das wir nicht hassen«, sagte Tom.
    »Genau! Das ganze verdammte Gesindel, das in der Vergangenheit die Welt regierte. Da stehen wir nun an einem Donnerstagmorgen hier, die Eingeweide kleben uns am Rückgrat, wir frieren, wohnen in Höhlen und ähnlichem, rauchen nicht, trinken nicht, haben nichts als unsere Feste, Tom, unsere Feste.«
    Tom dachte an die Feste der letzten Jahre. An das Jahr, als sie alle Bücher auf dem Platz zerrissen und verbrannten und alle Leute betrunken waren und lachten. Und an das Fest der Wissenschaft vor einem Monat, als sie das letzte Auto hereinschleppten und Lose zogen; jeder Glückliche, der gewonnen hatte, durfte einmal mit dem schweren Schmiedehammer auf den“„ Wagen losschlagen.
    »Ob ich mich daran erinnere, Tom? O ja, ich durfte das Vorderfenster zertrümmern, das Fenster, hörst du? Mein Gott, das gab ein schönes Geräusch! Das krachte!«
    Tom hörte richtig, wie das Glas in glitzernde Stücke zersprang.
    »Und Bill Henderson, der durfte den Motor zerschlagen. Oh, der hat gute, gründliche Arbeit geleistet. Bum!«
    »Aber das beste war doch noch«, erinnerte sich Grigsby, »wie wir eine Fabrik zerstörten, in der immer noch Flugzeuge hergestellt werden sollten. Himmel, hat uns das gutgetan, als wir die in die Luft jagten!« sagte Grigsby. »Und dann fanden wir diese Zeitungsdruckerei und das Munitionslager und ließen sie zusammen explodieren. Verstehst du, Tom?«
    Tom grübelte

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