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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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hinunter.
    Ich spähte durch das Wagenfenster in unbewegtes Dunkel; das Armaturenbrett war schon seit vielen Jahren erloschen.
    »Nick…?«
    »Und kein anderer«, flüsterte er geheimnisvoll. »Ist das nicht ein schöner warmer Abend!«
    Wir hatten fünfzehn Grad. Aber Nick war Rom niemals näher gekommen als bis zur Küste von Tipperary; darum war das Wetter für ihn eine relative Angelegenheit.
    »Ein schöner warmer Abend.«
    Ich kletterte auf den Vordersitz und knallte die knarrende Tür mit dem obligatorischen Schlag zu, der den Rost absplittern ließ. »Wie ist es dir inzwischen ergangen, Nick?«
    »Ah.« Der Wagen quälte sich schwer und knirschend den Waldweg hinunter. »Ich bin gesund. Ist das nicht die Hauptsache, wo morgen die Fastenzeit anfängt?«
    »Das Fasten«, sagte ich nachdenklich. »Was geben Sie dafür auf, Nick?«
    »Ich hab mir’s schon überlegt.« Nick sog plötzlich an seiner Zigarette; der rosige Umriß seines Gesichts zeichnete sich hinter dem Rauch ab. »Warum nicht diese schrecklichen Dinger, die Sie in meinem Mund sehen? Teuer wie Goldfüllungen und verstopfen meine Lunge fürchterlich. Wenn man alles zusammenrechnet, eh das Jahr rum ist, so geht allerhand zum Teufel. Darum werden Sie diese schmutzigen Dinger die ganze Zeit lang nicht in meinem Gesicht sehen, und wer weiß, vielleicht auch danach nicht!«
    »Bravo!« sagte ich, Nichtraucher.
    »Bravo sag ich auch zu mir«, krächzte Nick, ein Auge wegen des Rauches zugekniffen.
    »Viel Glück«, sagte ich.
    »Das brauch ich«, flüsterte Nick, »wenn ich mit der Gewohnheit der Sünde brechen will.«
    Und wir fuhren sicher gesteuert, bei vorsichtiger Gewichtsverlagerung und mit fünfundvierzig Stundenkilometern hinunter durch eine moorige Niederung und durch den Nebel nach Dublin.
     
     
    Habt Geduld, aber ich muß es noch einmal betonen: Nick war der vorsichtigste Fahrer in Gottes weiter Welt, alle gesunden, kleinen, ruhigen, Butter und Milch erzeugenden Länder eingeschlossen.
    Vor allem steht Nick unschuldig und heilig da, wenn ich ihn mit jenen Autofahrern in Los Angeles, Mexico-City oder Paris vergleiche, die jedesmal, wenn sie sich in ihren eimerförmigen Sitz zurücklehnen, jenen kleinen Schalter betätigen, der Paranoia heißt. Auch verglichen mit jenen Blinden, die ihre Blechnäpfe und Krücken vergessen, obendrein noch dunkle Hollywood-Brillen tragen, mit irrem Lachen die Via Véneto hinunterrasen und Bremstrommelbeläge wie Papierschlangen aus ihren Rennwagenfenstern wehen lassen. Erinnert euch an die Ruinen Roms; es sind gewiß Trümmer übriggeblieben von jenen motorradfahrenden Ottern, die die ganze Nacht lang kreischend unter eurem Hotelfenster dunkle römische Alleen hinunterbrausen – auf die Löwengruben des Colosseums versessene Christen.
    Dagegen Nick. Seht seine ruhigen Hände, die das Rad in langsamer Uhrzeigerbewegung liebevoll herumdrehen, sanft und leise wie winterliche Sternbilder am Himmel. Lauscht seiner ruhigen, nebelatmenden Stimme, während er die Straßen bezaubert und sein Fuß dem flüsternden Gaspedal einen zärtlich wohlwollenden Taps versetzt; niemals einen Kilometer unter fünfundvierzig, niemals drei Kilometer darüber. Nick und sein ruhig gleitendes Boot, mit weicher Hand über einen milden süßen See gesteuert, in dem die Zeit schläft. Seht und vergleicht. Und bindet einen solchen Mann mit Sommergräsern an euch, beschenkt ihn mit Silber und schüttelt ihm nach jeder Fahrt herzlich die Hand.
    »Gute Nacht, Nick«, sagte ich vor dem Hotel. »Bis morgen.«
    »So Gott will«, flüsterte Nick.
    Und er fuhr langsam davon.
    Lassen wir dreiundzwanzig Stunden für Schlaf, Frühstück, Mittagessen, Abendessen und den Abendtrunk verstreichen. Lassen wir Stunden, da aus einem schlechten Manuskript ein anständiges gemacht wird, in Moor, Nebel und Regen dahingehen. Am nächsten Tag um Mitternacht komme ich wieder aus dem Herrenhaus im Georg-V.-Stil; die Tür wirft einen hellen Schein vor mich, während ich die Stufen hinuntergehe und wie ein Blinder im Nebel nach dem klotzigen Wagen taste, der dort unten stehen muß. Ich höre sein erweitertes asthmatisches Herz in der blinden Luft keuchen, und Nick hustet seinen leicht gekünstelten Husten.
    »Ah, da sind Sie ja, Sir!« sagte Nick.
    Und ich kletterte wieder auf den gemütlichen Vordersitz und knallte die Tür zu. »Nick«, sagte ich lächelnd.
    Und dann geschah das Unglaubliche. Der Wagen schnellte ruckartig vor, wie aus der flammenden Mündung einer

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