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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Schluck genommen hatte, winkte ab. »Um Gottes willen! Nein! Schreiben ja, Fotos auch, sogar Pressetermine machen mir nichts aus, aber bloß nicht vor laufender Kamera stehen. Da komme ich mir vor, als würde man mich mit heruntergelassener Hose erwischen. Ich kann gut nachvollziehen, wie du dich heute gefühlt hast.« Er zwinkerte Hannah zu. So langsam begann Hannah zu verstehen, warum Irene ihn scherzhaft einen Lügner genannt hatte. In seinem Blick lag mehr als bloße Sympathie. Wollte er mit ihr flirten, oder was hatte er vor? Irene schien nichts bemerkt zu haben und mit ihren Gedanken woanders zu sein. Auf ihrer Stirn hatten sich tiefe Falten gebildet. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme verändert. »Du hast wirklich noch nie vor der Kamera gestanden? Noch nie ein Interview gegeben oder an einer Reportage mitgearbeitet?«
    »Nein, niemals. Wie kommst du darauf?«
    Hannah spürte durch ihren Bierschleier, dass das Gespräch mit einem Mal eine andere Wendung bekam.
    »Nun«, bemerkte Irene mit einem scharfen Unterton, »ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich dich schon mal irgendwo gesehen habe.«
    Chris schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen. So wahr ich hier sitze, ich bin noch nie im Fernsehen gewesen. Aber man hat mich schon oft verwechselt. Ich habe offenbar ein Allerweltsgesicht«, fügte er mit einem Grinsen hinzu. Irene nickte, doch ganz zufrieden schien sie mit der Antwort nicht zu sein. Es blieb eine schmale, skeptische Falte zwischen den Augenbrauen. Um die Stimmung nicht absacken zu lassen, versuchte Hannah es mit einem Themenwechsel.
    »Was machen die Studien an der Skulptur? Wir haben dich seit fast drei Tagen nicht zu Gesicht bekommen. Gibt es irgendwelche Fortschritte?«
    Beinahe augenblicklich spürte sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Der leichte, spielerische Charakter, den ihr Gespräch bis zu diesem Zeitpunkt hatte, war nun endgültig verschwunden. Chris nahm einen tiefen Schluck, als wollte er sich Mut antrinken. Sein Gesicht verriet Anspannung.
    »Die Skulptur. Nun ja …«
    »Wir können auch warten.«
    »Psst!« Irene rempelte sie an. »Ist schon in Ordnung. Ich will es hören. Was hast du herausgefunden? Bist du mit der Entzifferung weitergekommen?«
    »In der Tat.« Sein Lächeln wirkte kalt. »Und ich glaube, das hier war erst der Anfang. Wir werden weiterziehen müssen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich kann euch das jetzt nicht erklären. Ich zeige es euch morgen früh, bei Sonnenaufgang. Lasst euch überraschen.«

5
    Es war noch früh am Morgen, als sich die Gruppe fröstelnd und verschlafen um die Medusa versammelte. Albert und Malcolm litten unzweifelhaft an einem kapitalen Kater, während Irene und Gregori sich zaghaft, beinahe zufällig an den Händen berührten. Hannah war nicht überrascht. Sie hatte gleich bemerkt, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Vermutlich hatten sie die Nacht zusammen verbracht. Patrick trat von einem Bein aufs andere und rieb sich die Arme warm, während Chris in den Himmel blickte und sehnlichst die ersten Sonnenstrahlen in der Schlucht erwartete. Niemand sprach ein Wort. Hannah fühlte ganz deutlich die Anspannung, die auf der Gruppe lastete. Mehr als Andeutungen und Rätsel hatte er nicht von sich gegeben. Sie mussten diesen Ort verlassen? Aber warum? Und wohin?
    Sie blickte nach oben. Gerade schob sich die Sonne über den Felsgrat – es schien, als würde sich goldenes Wasser in die Schlucht ergießen.
    »Es ist so weit. Passt jetzt gut auf!« Chris verließ seinen Standort neben der Skulptur und ging einige Meter auf die Felswand zu, an der die Schlucht endete. Dort blieb er stehen. Er legte seine Hand auf den Fels und lächelte Hannah aufmunternd zu. Das Sonnenlicht wanderte mit verblüffendem Tempo auf seine Hand zu. Sie hielt den Atem an, wollte einen Schritt in seine Richtung gehen, doch er hatte ihre Absicht bemerkt und gab ihr zu verstehen, dass sie dort bleiben solle, wo sie stand. Jetzt hatte das Licht seine Hand erreicht und kroch wie ein Lebewesen an ihr hoch. Und noch während Hannah dachte, was für ein angenehm warmes Gefühl das wohl sein müsse, entdeckte sie etwas. Die anderen Gruppenmitglieder hatten es auch gesehen, denn mit einem Mal kam Unruhe auf. »Da sind ja Symbole an der Wand«, rief Irene. »Ich erkenne Punkte und Linien.«
    »Ja, und dort drüben sind noch mehr.« Hannah eilte auf Chris zu, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, und legte ihre Hände auf den Fels. Während die Sonne immer

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