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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Zuerst wäre Irene Clairmont zu sehen. Engagiert, gleichzeitig aber kühl und professionell würde sie auf dem Fernseher erscheinen. Die Kamera würde um sie herumfahren, während sie die Geschichte des Tals erzählte. Danach ein Kameraschwenk über die Felsdarstellungen. Nichts entging der hochauflösenden Optik. Das Licht war perfekt gesetzt, jede Linie, jede Gravur wie unter einem Mikroskop zu erkennen. Dann wieder ein Schwenk auf eine kleine Gestalt in weiter Ferne, die vornübergebeugt auf einem Hocker saß, während die Stimme des Erzählers aus dem Off sprach. Die Kamera schwebte durch die Schlucht, und nun wurde es immer deutlicher: Da saß eine Frau und zeichnete. Bekleidet mit kurzen Khakishorts und einem weichen Baumwollhemd, saß sie da und betrachtete den Fels, während ihre Hand das Bild eines springenden Antilopenbocks auf das Papier übertrug. Die Frau hob den Kopf und blickte auf die Felsdarstellungen. Das war der Augenblick, an dem Friedrich Peters seine Tochter erkennen würde.
    Würde er einen Herzinfarkt bekommen? Aufspringen und den Fernseher abschalten? Oder demonstrativ den Raum verlassen, den Mund zu einem Strich zusammengepresst?
    Am besten gefiel Hannah die Vorstellung, dass alle drei mit offenem Mund sitzen blieben, unfähig, sich zu bewegen. Und dann? Würde Vater seine Meinung ändern? Würde er in der Lage sein, zuzugeben, dass er einen Fehler begangen hatte? Würde die Familie eines Tages wieder zusammenfinden?
    Das war ein schöner Gedanke, aber realistisch war er nicht.
    Viel wahrscheinlicher war, dass sie den Film gar nicht ansehen würden, selbst wenn Hannah sie auf den Termin hinweisen oder ihnen gar eine Videokassette schicken würde. Außerdem ließ sich die Dornenhecke aus Schweigen, die so viele Jahre Zeit gehabt hatte zu wuchern, nicht mit einer einzigen Fernsehsendung niederreißen.
    Sie seufzte und begann die Zeichnungen zu sortieren und wegzuräumen. Plötzlich spürte sie, dass sie Besuch bekommen würde. Sie sah sich um, doch niemand war zu sehen. Ein undefinierbares Kribbeln kroch ihre Nackenwirbel entlang, ein Zeichen dafür, dass etwas geschehen würde. Als kleines Mädchen hatte sie diese Fähigkeit immer als den Blick bezeichnet, eine Gabe, vor der besonders die Tuareg große Ehrfurcht hatten. Der Blick war etwas Außergewöhnliches. Mal war er da, mal nicht. Mal bezog er sich auf ein wichtiges Ereignis, mal auf eine Nebensächlichkeit. Meistens trat er dann in Erscheinung, wenn sie am wenigsten damit rechnete. So wie jetzt.
    Sie hob den Kopf, rechtzeitig genug, um zu sehen, wie Irene aus ihrem Zelt kam und geradewegs auf sie zusteuerte. Ihr Gesicht war gerötet und drückte Entrüstung aus.
    »Männer«, schnaubte sie empört, als sie eintrat, vier Flaschen Bier unter dem Arm haltend. Ein schelmisches Grinsen umspielte ihren Mund. »Die haben wirklich nur ein Thema.«
    Hannah hob die Augenbrauen. »Frauen?«
    »Wo denkst du hin?« Irene öffnete zwei Flaschen und reichte Hannah eine davon. »Das wäre ja interessant. Nein, Sport. Genauer gesagt, Football. Kann man sich etwas Langweiligeres vorstellen? Mir schwirrt schon der Kopf von den Namen all dieser Quarterbacks, Receiver und Runningbacks. Gregori hatte noch eine Sports Illustrated . Dann ist Patrick auf die glorreiche Idee gekommen, den Satellitenempfänger einzuschalten und die neuesten Ergebnisse und Tabellen aus dem Äther abzurufen. Ich fürchte, es ist nicht gut bestellt um die Gattung Mann. Prost!« Sie stieß ihre Flasche gegen Hannahs. »Darf ich?« Damit deutete sie auf einen Klappstuhl.
    »O bitte. Ich würde mich freuen.« Hannah räumte die Zeichnungen weg. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ Irene sich auf den Stuhl fallen und legte die Beine auf eine Alukiste.
    »Ah, herrlich ist es hier. Besonders um diese Uhrzeit. Wenn die Sonne untergegangen ist und die Steine in der Kühle des Abends zu knacken beginnen. Das ist etwas, was man an keinem anderen Ort der Welt findet.«
    »Naja, ich verfüge nicht über deine Erfahrung, aber trotzdem glaube ich, dass du Recht hast. Zumindest, was die Wüste betrifft.« Hannah lächelte schüchtern. »Bei deiner Bemerkung über Männer bin ich mir nicht so sicher. Bestimmt gibt es Ausnahmen. Sieh dir zum Beispiel Chris an.« Ihre Augen verharrten auf dem stillen Klimatologen, der mit ausdrucksloser Miene in das Feuer starrte. »Seit geschlagenen dreißig Minuten sitzt er schon so da. Man könnte meinen, er sei eingeschlafen.«
    »Interessanter Typ, nicht

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