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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dem Spalt zu. Mit klopfendem Herzen betrat sie das mystische Halbdunkel. Die Felsen wirkten wie gegerbtes Leder. Während Hannah ihre Hände über die raue Oberfläche gleiten ließ, spürte sie überwältigende Neugier in sich aufsteigen. Warum hatte Kore so geheimnisvoll getan? Was mochte sich im Inneren der Schlucht befinden? Hoch über ihr pfiff der Wind über das Plateau. Ein Heulen erklang, dessen Echo von den Steilwänden widerhallte. Als würden Stimmen nach ihr rufen. Manchmal klang es, als flüsterten sie dicht neben ihrem Ohr, dann wieder hörte sie entfernte Schreie. Hannah drehte sich um, aber da war niemand. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Kein Wunder, dass die Tuareg glaubten, dieser Ort sei von Geistern bewohnt. Sie zwang sich, an die physikalische Ursache des Phänomens zu denken. Die steilen Wände umschlossen eine Luftsäule, die durch den Höhenwind in Schwingung versetzt wurde. Die Stimmen waren nichts weiter als schwingende Luftmoleküle. Alles ganz einfach. Dennoch: Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie an diesem Ort nicht allein war. Hannah, Hannah, schienen die Stimmen zu rufen. Es war ganz deutlich zu hören. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging weiter, Schritt für Schritt. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, wurde das Gefühl der Bedrohung größer. Es war das erste Mal, dass ihr so etwas widerfuhr. Warum nur hatte Kore sie in diese Schlucht geschickt? Warum war er nicht mitgekommen? Wollte er sie ängstigen? Wenn das sein Ziel war, dann hatte er es geschafft. Sie war geneigt umzukehren, als sie etwas entdeckte. Einen Schatten an der Felswand. Eine Form, und dort drüben noch eine. Undeutlich und doch vertraut. Arme, Beine, Leiber. Sie waren riesig, sie waren …
    Hannah hielt den Atem an. Dort waren noch mehr. Sie bedeckten die Felswände, so weit das Auge reichte. Dreißig, vierzig. Gigantische Wesen aus längst vergangenen Tagen. Und alle schienen sie anzustarren, als hätten sie schon seit Urzeiten auf sie gewartet. Hannah, Hannah, riefen die Stimmen.
    Sie stolperte vorwärts, und mit jedem Schritt wurde ihr klarer, dass sie Kore würde enttäuschen müssen. Dieser Ort ließ sich unmöglich geheim halten.
    Etwas Mächtiges hatte sie gepackt und wollte nicht zulassen, dass sie entkam. Etwas, was einen eigenen Willen zu besitzen schien. Ein Wesen aus dunkler Vorzeit. Immer tiefer wurde sie hineingezogen in eine Welt aus Mythen und Legenden. Die Gesichter erzählten Geschichten und flüsterten von dem Geheimnis am Ende der Schlucht. Und Hannah ging durch die verborgene Welt, bis sie dorthin gelangte, wo jegliches Wissen endete und alles Legende war.

2
    Sechs Monate später …
    Die Staubwolke, die sich von Norden näherte, krümmte und wand sich wie eine gigantische Schlange aus Sand. Kilometer um Kilometer zog sie sich über die Ebene. Die Sommerhitze ließ die Luft flirren und trug damit noch mehr zu dem Eindruck bei, dass sich ein lebendes, atmendes Geschöpf auf sie zubewegte.
    »Komm schnell, Hannah, das glaubst du nicht.« Abdu Kader, ihr Assistent, stand seit einigen Minuten an der Felskante, die Augen an sein Fernglas gepresst.
    »Was ist denn los?« Hannah, die versuchte, ihre braune Haarflut mit einem Gummi zu bändigen, blickte auf. »Ist es wichtig?«
    »Und ob. Sieht nach Militärfahrzeugen aus.«
    Hannah sprang auf. Sie griff nach dem kleinen Fernglas, das sie neben ihrer Sandbrille immer in einer Tasche bei sich trug, und eilte zu Abdu. Nach kurzem Suchen hatte sie die Fahrzeuge im Blick.
    »Das ist kein Militär«, stellte sie fest. »Es ist das Team, das man uns angekündigt hat.« Sie versuchte einen genaueren Blick auf die Fahrzeuge zu werfen, aber die Staubwolken ließen die Details verschwimmen. Doch was sie sah, versetzte sie in Erstaunen. »Ich bin davon ausgegangen, dass man uns ein kleines, unbedeutendes Filmteam schickt«, sagte sie, »aber da habe ich mich wohl mächtig geirrt. Das sind Hummer-Wagons, nagelneue Hummer-Wagons.«
    Sie erinnerte sich, wie vor zwei Tagen ein schweres Transportflugzeug über ihre Köpfe hinweg Richtung Djanet gebraust war, dem einzigen Ort weit und breit, der über einen Flugplatz verfügte. Sie hatte sich schon gefragt, was eine solch große Maschine in diesem Teil der Wüste verloren hatte. Jetzt kannte sie die Antwort.
    Von Djanet aus führte eine staubige Piste bis zu ihrem Lager. Hier oben, hundert Meter über der Ebene, wehte ein trockener Wind, der auf der Haut brannte. Unten in der Ebene war die

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