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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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solche Kraftanstrengung war, halfen mit.
    »In Ordnung. Ich zähle bis drei, und dann legt ihr euch ins Zeug«, rief Hannah. »Eins, zwei, drei!«
    Chris spürte, wie der Stoff in seine Haut schnitt, während er seine ganze Kraft aufbot, um die Platte zu bewegen. Von Outdoor-Bekleidung durfte man ein gewisses Maß an Strapazierfähigkeit wohl erwarten, aber ob sie diesen Zugkräften gewachsen war?
    Minutenlang erfüllte ein gleichförmiges Keuchen den Raum. Schließlich wurde ihre Mühe mit einem vertrauten Geräusch belohnt. Sie hörten das Knirschen von Sand, der zwischen mächtigen Steinen zerrieben wurde.
    »Los, noch einmal«, rief Gregori, der zu Irene lief und nun ebenfalls zupackte. »Es hat sich schon ein kleines Stück bewegt. Noch mal, mit vereinten Kräften!«
    Chris lief der Schweiß über den Rücken. Er spürte, wie seine Arme erlahmten. Lange würde er diese Zugkraft nicht mehr aufbringen können. Plötzlich ging ein Ruck durch die Taue. Der Boden vibrierte, und das tonnenschwere Tor öffnete sich mit einem tiefen Rumpeln. So, wie Hannah vorausgesagt hatte. Die eine Hälfte der Steinplatte versank unter ihren Füßen im Boden, während die andere sich in die Senkrechte erhob. Der Mechanismus ermöglichte es ihnen, die Steinplatte ohne weitere Anstrengung in ihre endgültige Position zu bewegen. Schließlich hörten sie ein trockenes Schnappen, als ein Zapfen an der Achse in eine Vertiefung rutschte und die Steinplatte in dieser aufrechten Position unverrückbar feststellte. Chris musterte die Konstruktion mit vorsichtiger Zurückhaltung. Der Stein ächzte und knackte unter dem Gewicht, aber er hielt. Eine dreizehntausend Jahre alte Konstruktion, die immer noch tadellos funktionierte.
    Von der Treppe, die unter der Platte verborgen lag, stieg ein Schwall uralter, muffig riechender Luft zu ihnen empor. Doch auf die Teilnehmer der Expedition wirkte das belebend wie eine Frühlingsbrise. In Windeseile hatten sie ihre Sachen entknotet und wieder angezogen. Dann war der große Moment gekommen, der Moment, von dem alle Archäologen zeit ihres Lebens träumen. Sie würden hinabsteigen in eine Welt, die seit Urzeiten kein menschliches Wesen betreten hatte.
    Genauso gut hätten sie mit einem Raumschiff auf einem fremden Planeten landen können.
    »Stellt euch mal zusammen«, rief Malcolm ihnen zu, während er seine Kamera auf einem kleinen Aluminiumstativ positionierte. »Das ist ein historischer Augenblick. Den müssen wir unbedingt für die Nachwelt erhalten. Ja, Abdu, du musst auch mit drauf. Die in der vorderen Reihe sollten sich hinknien. Lasst mir aber auch noch einen Platz frei. So, und jetzt enger zusammenrücken. Sehr gut!«
    Der Selbstauslöser leuchtete auf, und Malcolm rannte zu seinem Platz neben Gregori. Sie legten sich die Hände auf die Schultern und grinsten in das Objektiv. Es gab ein wenig Gelächter und Schulterklopfen, doch dann blickten alle mit erwartungsvoller Miene in die Kamera. Für wenige Augenblicke waren Streit, Eifersucht und Missgunst vergessen. Die Zeit schien stillzustehen. Es grenzte an ein Wunder, wie weit sie trotz aller Schwierigkeiten gekommen waren. Nach all den beschwerlichen und grausamen Erlebnissen hatten sie endlich das gefunden, wonach sie gesucht hatten. Ihr Ziel war zum Greifen nah.
    Chris spürte, dass dies einer jener seltenen Momente war, in denen vollkommene Einigkeit herrschte. Aber wer konnte wissen, ob es je wieder einen solchen Augenblick geben würde?

15
    Oberst François Philippe Durand sah sich mit finsterem Blick um. Das Camp der Wissenschaftler war eine Stätte der Verwüstung, ein Ort des Todes und des Verfalls – zwei Dinge, die er ganz und gar nicht ausstehen konnte. Was die Rebellen nicht fortgeschleppt oder verbrannt hatten, war ein Raub des Sturms geworden. Zerbrochene Zeltstangen, an denen noch die Reste der Bespannung flatterten, ragten wie Fingerknochen in die Luft. Umgeworfenes Kochgeschirr aus Aluminium lag neben angesengten Schlafmatten und zerknickten Feldbetten. Aus halb verschütteten Aluminiumkisten quollen Jacken und Hosen. Hier stand buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen. Das Lager wirkte, als hätte Gott eine Sintflut geschickt, um es vom Antlitz der Welt zu tilgen.
    Andererseits war der Sturm auch ein unverhofftes Glück. Er hatte sämtliche Spuren verwischt, und das würde es ihm ermöglichen eine Geschichte zurechtzubasteln, die sich in seinen Berichten an den Führungsstab in Agadez glaubwürdig las.
    Er wandte sich

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