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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gewaltiges, dunkles … Nichts. Eine Höhle – oder besser gesagt eine Kaverne – von solch gewaltigen Dimensionen, dass ihre wahre Abmessung nicht abzuschätzen war. Offenbar hatten sie, ohne es zu merken, den schmalen Gang verlassen und befanden sich nun auf einer Art Balustrade, die sich spiralförmig in die Tiefe wand. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätten sie sich weiter rechts gehalten. Albert Beck, der aussah wie eine Stange Weißbrot, wich zurück und suchte Schutz an der Wand. »Wo, um Gottes willen, sind wir hier? Ist das Menschenwerk?«
    »Gewiss nicht«, flüsterte Gregori mit erregter Stimme. »Es kann nur durch Prozesse im Erdinneren entstanden sein. Wahrscheinlich befinden wir uns im Inneren einer gigantischen Gasblase, einer Geode. In einem natürlichen Hohlraum, der sich innerhalb des ehemals zähflüssigen Gesteins gebildet hat und bei der Aushärtung der Lava bestehen blieb. Wir haben solche Höhlen, natürlich in kleinerem Maßstab, schon überall auf der Welt gefunden, aber keine, die so groß gewesen wäre wie diese hier. Einfach überwältigend.«
    »Ein Alptraum«, stammelte Albert. »Ich kann unter keinen Umständen weitergehen.«
    »Was soll das heißen?« Irene blickte ihn fragend an. »Wir können doch jetzt nicht umkehren. Nicht, ehe wir herausgefunden haben, was dort unten ist.«
    »Ich kann.« Albert griff sich an die Brust. »Wenn ihr es unbedingt wissen wollt, ich leide unter Höhenangst. Extremer Höhenangst. Bisher hat mir das nie Probleme gemacht, aber es gehört ja auch nicht zu meinen Pflichten als Tontechniker, auf irgendwelche Türme zu klettern oder in Abgründe hinunterzuschauen. Das hier …«, er deutete in die pechschwarze Finsternis, »… das ist zu viel.«
    »Verdammt, Al, reiß dich zusammen«, drang Patrick auf seinen langjährigen Freund ein. »Wir stehen das hier zusammen durch. Ich bin bei dir. Komm, ich führe dich, wenn du das willst.«
    Ein schmales Lächeln huschte über Alberts Gesicht, so kurz, dass es schon wieder verschwunden war, ehe es wahrgenommen werden konnte. »So weit kommt es noch, dass wir beide Hand in Hand durch die Nacht schlendern. Großer Gott. Sei’s drum. Aber ich bestehe darauf, an der Wand gehen zu dürfen.«
    Malcolm klopfte ihm auf die Schulter. »Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich werde mich dir anschließen. Diese Höhle ist in der Tat Ehrfurcht gebietend, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass uns hier noch mehr Überraschungen erwarten.«
    Schritt für Schritt und mit äußerster Vorsicht bewegte sich die Gruppe im Gänsemarsch an der Wand entlang weiter abwärts. Hannah voran, dicht gefolgt von Chris. Sie empfand seine Nähe als wohltuend. Immer wieder spürte sie, wie er sie berührte und nach ihren Fingern tastete. Die Galerie, die vor Urzeiten in den Felsen geschlagen worden war, wies eine Breite von etwa einem Meter auf. Breit genug also, um sicher darauf zu gehen, aber so schmal, dass Hannah sich des Abgrunds zu ihrer Rechten stets bewusst war. Sie waren etwa zehn Minuten gegangen, als Chris sie plötzlich an der Schulter berührte.
    »Warte. Leide ich unter Halluzinationen, oder was ist das?«
    Besorgt drehte Hannah sich um und bemerkte im selben Augenblick, dass er durchaus nicht unter Halluzinationen litt.
    »Der Fels leuchtet«, flüsterte sie. Licht drang an verschiedenen Stellen aus dem Felsen. Es sah aus, als befände sich unter der obersten Gesteinsschicht eine fluoreszierende Quelle.
    »Schaltet alle Lampen aus!«
    Irene und Patrick drehten die Gasflamme ab, bis pechschwarze Dunkelheit sie umgab. Schlagartig erstarben die Gespräche. Nur Alberts ängstliches Flüstern war zu hören. »Seid ihr wahnsinnig? Ihr könnt doch auf dieser schmalen Galerie nicht das Licht löschen!«
    »Psst!«, hörte Hannah Irene zischen. »Seht euch das an!«
    Es dauerte einige Minuten, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann wurden sie mit einem Schauspiel belohnt, wie es nur wenige Menschen je gesehen hatten.
    »Es sieht aus wie flüssiges Licht!«, hauchte Irene.
    »Fluoreszierende Bakterien«, entgegnete Hannah. Doch eigentlich war dieser Ausdruck viel zu profan, um ein Phänomen zu beschreiben, das in seiner Schönheit nicht in Worte gefasst werden konnte. Das Leuchten war allgegenwärtig. Es haftete an jedem Stein und an jedem Felsen. Das Licht besaß eine organische Qualität, eine Eigenschaft, die modernem Kunstlicht fehlte. Dieses Licht lebte. Es wogte und wallte, als striche ein Windhauch

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