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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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kurz und drosselte dann die Gaszufuhr. Im Nu waren sie umgeben von weichem, grünem Zwielicht. Chris hatte völlig Recht. Das Licht hier unten war mehr als ausreichend. Als befänden sie sich im Inneren einer gigantischen Uhr mit Leuchtzifferblatt. Chris und Gregori gingen weiterhin an der Spitze und steuerten in die Richtung, in der sie das Zentrum der Kaverne vermuteten. Der Boden war seltsam flach, als wäre er künstlich eingeebnet worden. Pflanzen wucherten im Dämmerlicht. Es schien sich um Schachtelhalm und Bärlapp zu handeln, zwei sehr urtümliche Pflanzenarten. Darunter wuchs Gras, das im Licht der Bakterien hin und her wogte. Hier und da ragten Basaltbrocken in die Höhe, denen sie vorsichtig auswichen. Das Licht reichte zwar aus, um einigermaßen sehen zu können, vor Fehltritten und blauen Flecken schützte es die Eindringlinge aber nicht.
    Sie waren noch keine fünfzig Meter weit gegangen, als sie an den Rand einer Vertiefung kamen, die von unregelmäßig geformten Steinbrocken gesäumt war. Eine träge grüne Brühe schwappte gegen das Ufer. Chris kniete sich nieder und schöpfte etwas davon auf seine Hand.
    »Wasser«, stellte er nach einer Geruchsprüfung fest. Ohne lange nachzudenken, trank er davon. »Eindeutig Wasser.« Er nahm einen weiteren Schluck. Es schmeckte herrlich kühl und frisch. Eine Wohltat nach den Wochen, in denen sie nur den warmen, abgestandenen Inhalt von Feldflaschen getrunken hatten. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern, wie köstlich frisches Wasser schmeckte.
    »Verrückter Kerl«, bemerkte Hannah, die sich zu ihm gesellt hatte. »Das war ziemlich leichtsinnig von dir.«
    »Risikobereitschaft gehört zum Geschäft«, erwiderte er grinsend. »Zuerst wunderte ich mich über die Farbe des Wassers, aber sie rührt wohl nur daher, dass die phosphoreszierenden Bakterien auch am Boden des Sees gedeihen. Das Wasser selbst sieht ganz normal aus. Seht her!« Er leuchtete mit der Taschenlampe auf die Flüssigkeit in seiner Hand, und jeder konnte sehen, dass sie völlig farblos war. Das schien die letzte Skepsis zu vertreiben, und schon bald knieten alle nebeneinander und labten sich an dem kühlen Nass.
    »Problem Nummer eins haben wir gelöst«, stellte Malcolm fest.
    »Mit unseren Nahrungsmittelvorräten und dem Wasser hier halten wir ohne Schwierigkeiten eine Woche durch. Licht brauchen wir auch kaum, so dass wir uns in Ruhe mit der Erforschung der Höhle befassen können. Also, wie sieht’s aus? Wollen wir weiter?«
    Er wirkte so aufgeregt wie ein kleines Kind, und Chris stellte fest, dass ihm dieser Wesenszug an Malcolm sehr sympathisch war.
    »Einverstanden«, sagte Hannah. »Aber seid bitte in Zukunft vorsichtiger als Chris. Ja, sieh mich nicht so an. Auch wenn du uns viel Zeit erspart hast, war es idiotisch von dir, das Wasser einfach zu trinken. Wir hätten es vorher testen müssen. Geht also keine unnötigen Risiken ein, denn was wir hier unten garantiert nicht finden, ist ein Arzt.«

Die Gruppe setzte ihre Erkundung fort und machte sich auf, den See gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden. Die Ufer waren mit dichten Farnbüschen und Schilfgras bewachsen, auf deren schmalen Blättern sich große Kolonien von Leuchtbakterien angesiedelt hatten. Je weiter sie gingen, desto deutlicher wurde es, dass der Deich, auf dem sie sich fortbewegten, künstlich angelegt worden war. Er bildete ein perfektes Rund.
    Schon nach kurzer Zeit stießen sie auf ein weiteres Relikt menschlichen Ursprungs. Sie entdeckten einen Steg, der vom Ufer zum Zentrum des Sees führte, das durch Nebelschleier vor ihren Blicken verborgen war. Auf dem Steg war ein Pfad aus flachen, grob behauenen Basaltplatten zu erkennen, flankiert von zwei weiteren Medusenstatuen, die auf kantig behauenen Obelisken ruhten. Ohne es auszusprechen, spürte Chris, dass sie kurz vor ihrem Ziel waren. Im Zentrum dessen, was vor Jahrtausenden einmal eine blühende Hochkultur gewesen war.
    Gemessenen Schrittes betraten sie den Pfad. Chris kam der Gedanke, dass es vormals wahrscheinlich nur auserwählten Menschen erlaubt war, diesen Pfad zu beschreiten. Sie waren im Begriff, eine heilige Stätte zu betreten, wie es sie in der Geschichte der Menschheit nur einmal gegeben hatte.
    Mit jedem Schritt lastete die Ungewissheit schwerer auf ihren Schultern. Zudem mussten sie feststellen, dass der See deutlich größer war als zunächst vermutet. Die Gruppe rückte enger zusammen.
    Nach einer Weile löste sich eine Form aus dem Nebel. Eine

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