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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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unter ihren Sohlen verhallte in der Tiefe, ohne ein Echo zurückzuwerfen, und das Licht ihrer Lampen warf bizarre Schatten auf die grob behauenen Wänden. Nach etwa hundert Metern stießen sie auf erste Hinweise. Rechts und links öffneten sich steinerne Nischen, aus denen ihnen die ausdruckslosen Gesichter zweier Medusen entgegenstarrten. Sie sahen der Tassili-Skulptur verblüffend ähnlich.
    Hannah trat vor und berührte die Figur mit ihren Fingern.
    Überrascht zog sie die Hand zurück. Ihr war in diesem Moment klar geworden, dass sie aus demselben Gestein gefertigt worden war wie die Statue im Tassili N’Ajjer . Aus schwarzem, hartem Basalt.
    Gregori hob einen Steinsplitter vom Boden auf und klopfte gegen einen der schlangenartigen Auswüchse. Ein glockenheller Ton erklang.
    »Tonalit«, erklärte er den überraschten Teammitgliedern.
    »Auch ein Basalt-Gestein, aber eine besonders harte Variante. Wird unter anderem für Klangskulpturen verwendet.«
    Damit schlug er an einen weiteren Auswuchs. Der Ton, den sie nun hörten, klang deutlich heller.
    »Ich hatte bereits im Tassili N’Ajjer den Verdacht, dass damit Klänge erzeugt werden sollten, aber jetzt bin ich mir sicher. Hört doch!« Er schlug eine Folge von Tönen an, die in den schier endlosen Tiefen des Stollens verhallten. Es klang wie ein archaisches Glockenspiel, dessen glasklare Töne besonders weit getragen wurden.
    »Warum hast du uns das nicht schon damals vorgeführt«, fragte Irene vorwurfsvoll. »Das hätte sich fantastisch im Film gemacht.«
    »Erstens waren die akustischen Bedingungen längst nicht so gut wie hier«, verteidigte sich der Geophysiker, »und zweitens habe ich das erst herausgefunden, als das ganze Equipment schon verpackt war. Malcolm hätte mir die Ohren lang gezogen, wenn ich dann noch mit dieser Geschichte angekommen wäre.«
    »Trotzdem ist es eine wichtige Entdeckung«, bemerkte Hannah.
    »Die Länge der Auswüchse scheint die Tonhöhe zu definieren. Sie sind bestimmt ganz bewusst so angefertigt worden, damit man Melodien erzeugen konnte. Möglicherweise sind wir hier auf den Bestandteil irgendeiner Zeremonie gestoßen, vielleicht sogar auf ein frühes Kommunikationsmittel. Großartig!« Hannah bemerkte Gregoris dankbares Lächeln.
    Eine weitere Untersuchung blieb ergebnislos. Es gab keine Zeichen, keine Inschriften, keine weiteren Besonderheiten. Mit ausdruckslosen Augen blickten die Steinwesen die Menschen an.
    Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, und Hannah begann sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Funktion die Wächter wohl gehabt haben könnten. Dienten sie zur Abschreckung, oder waren sie nichts als Dekoration? Letzteres traf wohl kaum zu. Dekorative Elemente entfalteten erst dann ihre Wirkung, wenn sie in großer Anzahl vorhanden waren. Ob an Kirchen, Gräbern oder Tempelanlagen, das Prinzip war in allen Epochen das gleiche: Die Menge war ausschlaggebend. Hier gab es nur zwei, und es hatte nicht den Anschein, als würden noch mehr auftauchen. Abschreckung also? Tief in sich spürte sie, dass auch das nicht der wahre Grund sein konnte. Dieser Ort war so geheim und so gut gesichert, dass Grabräuber oder Plünderer sich nicht von zwei lächerlichen Steinskulpturen abschrecken lassen würden. Nicht, wenn sie schon so weit gekommen waren. Es musste sich um etwas anderes handeln. Etwas, was vielleicht mit den Klängen zusammenhing …
    Doch je länger sie darüber nachdachte, desto verworrener wurden ihre Gedanken. Irgendwann gab sie es auf und konzentrierte sich wieder auf ihre Umgebung.
    Sie waren jetzt gut und gern fünfhundert Stufen hinabgestiegen, und noch immer war kein Ende der Treppenflucht zu erkennen. Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie. Dies war keine normale Grabkammer. Selbst die Pyramiden mit ihren ausgefeilten Labyrinthen waren mit dieser Anlage nicht zu vergleichen. Hannah strich sich in einem Anflug plötzlicher Kälte über den Unterarm. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, sich in einem riesigen Raum zu befinden.
    »Wartet mal einen Augenblick.«
    Ihre Worte verhallten in dunklen Tiefen. Es dauerte einige Sekunden, doch dann geschah etwas, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit unendlicher Verzögerung kam ein Echo zurück. Das Echo ihrer eigenen Stimme.
    Wie angewurzelt blieb die Gruppe stehen. Irene, die an der Spitze ging, drehte die Gasflamme auf höchste Stufe. Niemand schien auf das vorbereitet zu sein, was das Licht der Lampe offenbarte. Ihre Strahlen enthüllten ein

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