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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Insel.
    Überwachsen von einer tropisch anmutenden Pflanzenvielfalt, ragte sie wie ein vorsintflutlicher Paradiesgarten aus den schimmernden Fluten. Gekrönt wurde sie von einem riesigen schwarzen Würfel.
    Chris erstarrte. Von der Form her erinnerte ihn der Kubus an die Kaaba in Mekka, ein fensterloses, mit schwarzem Stoff behängtes Gebäude, das den heiligen Stein Hadjar al-Aswad beherbergte. Doch je weiter er sich dem Ungetüm näherte, desto klarer wurde ihm, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu dem islamischen Heiligtum gab. Er trat näher an den Kubus heran.
    Das Bemerkenswerteste an ihm war sein Material. Dieser Klotz bestand aus einer Substanz, die es in natürlicher Form nur in Vulkanen gab. Aus Glas, genauer gesagt aus Obsidian, einer harten vulkanischen Siliziumverbindung. Der Block war behauen, geschliffen und poliert worden und von einer überwältigenden körperlichen Präsenz. Doch etwas war merkwürdig. Obwohl alle Flächen im rechten Winkel zueinander standen, schien sich der Würfel nach oben hin optisch zu verbreitern.
    Auf eine rätselhafte Art weigerte sich der Klotz, den Gesetzen der Perspektive zu folgen. Unerwartet stießen sie auf einen Eingang – es war also tatsächlich ein Gebäude. Sah man einmal von einer Reihe merkwürdiger runder Öffnungen ab, die in die Seitenwände gebohrt worden waren und aus denen sich ein kontinuierlicher Strom aus Wasser ergoss, war das Bauwerk fensterlos. Welche Funktion es hatte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
    Chris schlich um den Kubus herum und legte seine Finger auf die gläserne Oberfläche … und erschrak.
    War das die Möglichkeit? Er zog seine Hand zurück, wartete einige Sekunden und versuchte es erneut. Ja, es war ganz eindeutig. Er vernahm Stimmen. Zunächst glaubte er, seine angespannten Sinne würden ihm einen Streich spielen, doch je länger er den Klotz berührte, desto deutlicher wurden sie. Seltsam körperlos, so, als entstünden sie erst in seinem Kopf, waren sie dennoch real, dessen war er sich sicher. So sicher, wie er die Realität von einer Fotografie unterscheiden konnte. Obwohl er nicht in der Lage war, genau zu wiederholen, was sie sagten, spürte er, dass sie von Freundlichkeit und Wohlwollen zeugten. Wie die beruhigenden Worte einer Mutter zu ihrem Kind wiederholten sich immer und immer wieder dieselben drei Worte. Chris wurde von einem Gefühl reinen Glücks durchströmt.
    Mit einem Lächeln im Gesicht blickte er zu seinen Kollegen.
    »Kommt schnell, ihr werdet es nicht für möglich halten.« Die Mitglieder der Expedition kamen näher und streckten ihre Hände aus. Chris beobachtete mit Genugtuung die Verzückung in ihren Gesichtern. Sie alle schienen die Worte zu hören. Bei Hannah war es am deutlichsten, denn sie bewegte ihre Lippen synchron zu den Worten, die sie nun alle vernahmen: Anethot, Imlaran, Farass. Anethot, Imlaran, Farass.
    Chris versuchte sich zu konzentrieren und wieder Klarheit in seinen Kopf zu bekommen, aber die Stimmen wollten sich nicht vertreiben lassen. Ruckartig zog er seine Hand zurück. Das Murmeln begann leiser zu werden und verstummte schließlich ganz. Er trat ans Ufer des Sees und schöpfte sich Wasser ins Gesicht. Im Nu kehrte sein klarer Verstand zurück. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und wandte sich zu seinen Gefährten um. Der Anblick war gespenstisch. Alle schienen völlig von den fremden Stimmen in Bann gezogen worden zu sein. Sie standen da und glotzten erwartungsvoll auf den Steinbrocken.
    »He, wacht auf!«, rief er und klatschte in die Hände. »Reißt euch zusammen. Hannah, Malcolm, Irene, kommt wieder zu euch!«
    Seine Worte zeigten Wirkung. Einer nach dem anderen löste seine Hände von der schwarzen Monstrosität und blickte sich verwirrt um.
    »Heiliger Strohsack, was war denn das?« Patrick traf den Nagel mit seinem unnachahmlichen irischen Akzent auf den Kopf.
    »Das wüsste ich auch gern«, meinte Albert. »Diese Namen, die da gemurmelt wurden, habe ich doch irgendwo schon einmal gehört.«
    »Allerdings.« Hannah fuhr sich mit der Hand über den Mund.
    »Wir alle haben die Namen schon einmal gehört. Und zwar aus Patricks Mund, während der Hypnose.«
    »Du hast Recht«, flüsterte Malcolm und sah dabei aus, als würde er sich in ein Stück Käse verwandeln. »Du hast verdammt noch mal Recht. Und zwar, als er anfing, von einem Auge zu faseln, und davon, dass man ihn nicht gehen ließ. Leute, ich bin wirklich nicht abergläubisch, aber so

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