Medusa
gängige Ansicht ist, dass sie aus einer Hülle aus Eis und Staub fallen, die das Sonnensystem in einer Entfernung von fünfzigtausend astronomischen Einheiten, das wären 0,75 Lichtjahre, umgibt. Diese so genannte Oort’sche Wolke ist ein Überbleibsel aus der Entstehungsphase des Sonnensystems. Alle einhunderttausend Jahre, wenn ein Stern in die Nähe dieser Wolke kommt, reißt er mit seiner Gravitation Teile heraus, die sich zusammenballen, in unserem Sonnensystem herumsausen und bei Annäherung an die Sonne ihren charakteristischen Schweif bilden.«
Sie nickte. »Und was hat das mit unserer Medusa zu tun?«
»Darauf komme ich noch. Zuerst musst du wissen, dass die Kerne der Kometen ein lockerer Verbund aus Eis, Staub und Steinbrocken sind. Schmutzige Schneebälle hat man sie genannt, und das trifft es ziemlich gut. Sie sind so weich, dass viele Kometen beim bloßen Vorbeiflug an der Sonne auseinander brechen. Deshalb ist auch noch nie ein Komet unversehrt auf der Erde eingeschlagen. Sie zerplatzen in einer Explosion, die der einer Atombombe von 12 Megatonnen gleichkäme. Zum Beispiel am 30. Juni 1908 über dem sibirischen Tunguska. Obwohl bei einem solchen Knall vom Kometen nichts übrig bleibt, kann es doch geschehen, dass seine festen Bestandteile in der Umgebung niedergehen. Die so freigesetzten Steine sind relativ unversehrt, da sie ja vor der großen Hitze beim Eintauchen in die Atmosphäre durch einen Mantel aus Eis geschützt waren.«
»Und?«
»Und? Gestein aus der Oort’schen Wolke ist so alt und stammt aus so großer Entfernung, dass es Materie enthalten könnte, die wir aus unserem Sonnensystem nicht kennen.«
Hannah sah ihn verständnislos an. Langsam begann ihr zu dämmern, worauf er hinauswollte. »Willst du damit sagen …?«
»Genau. Es gibt Theorien, dass die Oort’sche Wolke in der Lage ist, wie ein Schwamm Materie einzusammeln, die ziellos durch das All geistert. Materie, die aus den tiefsten Tiefen der Galaxis stammt. Elemente, Minerale und Substanzen, die uns völlig fremd sind. Mittels eines Kometen könnte es ihnen gelingen, unversehrt auf die Erde zu gelangen.«
Hannah blieb stehen und sah Gregori mit einem skeptischen Ausdruck an. »Willst du damit andeuten, dass die Medusa … Nein, das kann ich nicht glauben. Das ist viel zu unwahrscheinlich. Es muss eine andere Erklärung geben.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Tatsache ist jedenfalls, dass dieser Stein, oder was immer es ist, sehr merkwürdige Eigenschaften besitzt. Eigenschaften, wie sie keine andere Substanz aufweist, die wir je im Weltraum oder auf der Erde gefunden haben. Ich muss gestehen, dass ich am liebsten zurücklaufen würde, um diesen Stein selbst zu untersuchen.«
Gedankenversunken marschierten sie weiter. Hannah hatte genug Stoff zum Nachdenken bekommen, um sich ernsthaft Sorgen zu machen. »Wenn du mit deiner verrücken Theorie Recht hast, könnte es sein, dass wir alle in Gefahr sind.«
Er sah sie eindringlich an. »Wie meinst du das?«
»Denk doch mal nach. Vielleicht ist der Stein radioaktiv oder weist eine andere lebensbedrohende Eigenschaften auf.« Gregori ließ den Gedanken auf sich wirken, schüttelte aber dann den Kopf. »Das wäre zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich, denn immerhin ist er nach seinem Auffinden lange Zeit in Händen der Ureinwohner gewesen. Sie hätten ihm mit Sicherheit keinen Tempel gebaut, wenn er Tod und Verderben gebracht hätte. Aber eine schleichende Kontamination lässt sich natürlich nicht ausschließen.« Er seufzte. »Doch letztendlich ist das alles müßige Spekulation. Wir haben keine Möglichkeit, den Stein auf Radioaktivität zu überprüfen. Basta. Unsere einzige Chance besteht darin, möglichst bald hier herauszukommen, ein neues Team zu organisieren und dem Medusenstein mit modernen Analyseverfahren zu Leibe zu rücken.«
Hannah wollte etwas entgegnen, doch da machte sie eine Entdeckung, die sie vor Erstaunen innehalten ließ. Der Gang endete, und zwar in einer Höhle. Sie betraten eine Kammer, die in ihrer Form und Beschaffenheit der Krypta erstaunlich ähnlich sah. Sie war etwas kleiner und wies, neben einer Klangskulptur, beinahe identische Darstellungen und Verzierungen an den Wänden auf. Was für ein Fund. Tief im Herzen war sie froh, nicht mehr weiterlaufen zu müssen. Gregori ging es ähnlich, auch er war müde und matt. Trotzdem war an Schlaf nicht zu denken.
»Sucht die Wände nach einem zweiten Ausgang ab, schnell. Wir müssen etwas
Weitere Kostenlose Bücher