Medusa
finden, unbedingt!«, sagte Hannah.
»In Ordnung«, stimmte Gregori ihr zu. »Ich beginne dort drüben, das sieht ziemlich viel versprechend aus.«
Eine halbe Stunde später saß Hannah mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Erde und knabberte nervös an ihrem Bleistift. Sie hatten die ganze Höhle abgesucht und nichts gefunden. Jedenfalls nichts, was auf einen Ausgang hindeutete. Die Wände waren aus massivem Felsgestein. Es gab keine Nische, keine Vertiefung und keinen Gang. Zum Verrücktwerden. Sie waren hier gefangen und würden nie wieder das Tageslicht erblicken, dessen war sie sich jetzt sicher. Gregori und Abdu schienen das nicht so schwer zu nehmen, sie widmeten sich ganz der Entzifferung der merkwürdigen Bildsymbole. Hannah war kurz davor, vor Ermüdung und Verzweiflung in Tränen auszubrechen, da hörte sie Gregoris aufgeregten Ruf.
»Hannah, komm schnell! Wir haben etwas gefunden. Das solltest du dir ansehen.«
Sie legte ihre Aufzeichnungen zur Seite und schleppte sich zu Abdu und Gregori, die beide vor der Wand kauerten. Als sie eintraf, lächelte Gregori sie an, als wollte er sagen: Ich hatte Recht.
»Ein Ausgang?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Nein, das leider nicht, aber Abdu hat diese Darstellung gefunden. Was hältst du davon.« Er zwinkerte dem Tuareg verschwörerisch zu.
Hannah setzte ihre Brille auf und betrachtete die Darstellungen. Figuren mit Speeren, formvollendet und elegant, sprangen über die Ebene. Sie fand keine Tier- oder Landschaftsdarstellungen, stattdessen einen Himmelskörper.
Ihr stockte der Atem. Denn er besaß einen Schweif.
»Das ist doch nicht möglich«, flüsterte sie.
»Habe ich es dir nicht gesagt?« Gregori strahlte übers ganze Gesicht. »Und jetzt sieh her.«
Ihre Augen folgten seinem Finger weiter nach rechts. Die Figuren standen um einen unförmigen Gegenstand herum, der wie ein Klumpen Lehm auf dem Boden lag. Einige Menschen streckten ihre Hände danach aus und berührten ihn, andere wandten sich ab. In der nächsten Szene trugen vier Frauengestalten den Klumpen davon. Es war interessant, festzustellen, dass sie gewachsen zu sein schienen. Hannah blickte zurück auf die erste Darstellung, um sich dessen zu vergewissern.
»Das ist ja sehr merkwürdig«, sagte sie zu dem Geologen, ohne den Blick von den Darstellungen abzuwenden. »Es hat fast den Anschein, als seien die vier Frauen gewachsen. Wie ist das zu verstehen?«
»Vielleicht symbolisch. Vielleicht ist damit nicht körperliches, sondern geistiges Wachstum gemeint.«
Hannah knabberte auf ihrer Unterlippe. »Weisheit«, murmelte sie. »Das wäre möglich. Das hieße, auch die Frühmenschen könnten Visionen gehabt haben, als sie den Stein berührten. Visionen, die sie befähigten, weiter zu denken als andere, und ihnen die Fähigkeit gaben, sich selbst zu erkennen. Was hatte Chris noch mal gesagt? Der Stein zeigte ihm Dinge, die er längst vergessen hatte, Begebenheiten, die im Unterbewusstsein gespeichert waren. Wäre interessant, zu erfahren, ob die Wirkung bei allen Menschen gleich ist.«
Wie gebannt verfolgte sie die weitere Geschichte auf den Felsbildern. »Seht mal«, sagte sie, »die vier großen Frauen unterscheiden sich nun ganz deutlich von den anderen. Über ihren Köpfen sind jetzt Strahlenkränze zu erkennen, die beinahe an Heiligenscheine erinnern. Ein eindeutiges Symbol für ihre geistige Überlegenheit.« Die Erleuchteten, wie Hannah sie im Geiste taufte, fingen in der nächsten Bildsequenz an, höchst merkwürdige Gegenstände in den Händen zu halten.
»Was machen die denn da?«, fragte sie in die Runde, aber niemand schien eine Erklärung für die seltsamen Apparate zu haben, die die Erleuchteten in ihren Händen hielten. Es gab Geräte, die aussahen wie Sägen und Fräsen. Es gab auch birnenförmige Gebilde, die eine Art von Energiezelle darzustellen schienen, denn sie waren durch Kabel mit anderen Geräten verbunden. Einer dieser Apparate war besonders auffällig, denn er diente offenbar dazu, harte Materialien zu bearbeiten.
»Was könnte das sein?«, erkundigte sich Hannah.
Gregori strich mit seinem Finger über die Wand. »Sieht aus wie ein Laser oder ein Lichtbogen. Damit lassen sich enorm hohe Temperaturen erzeugen.«
»Hoch genug, um damit Obsidian zu schneiden?«
Der Geologe blieb die Antwort schuldig, doch aus seinen Augen leuchtete ein eindeutiges Ja.
Hannahs Augen wanderten zurück zu den Erleuchteten. In der folgenden Bildsequenz tauchte zum ersten
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