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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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einem unguten Gefühl im Magen eilten Hannah und Gregori durch das grüne Dämmerlicht zum Rand des Sees und von dort aus über den Deich. Vor ihren Augen schälte sich der Tempel wie ein Traumgespinst aus dem Dunst, und Hannah bemerkte augenblicklich, dass sich etwas verändert hatte. Es dauerte einige Sekunden, bis sie bemerkte, was es war. Auch Gregori schien es erkannt zu haben und stand, wie vom Donner gerührt, am Fuß des Hügels.
    »Ich glaube das einfach nicht«, sagte er. »Sieh dir das an. Sie haben ihn geschmückt. Die verdammten Idioten haben ihre ganze Zeit damit verplempert, den Tempel zu dekorieren.«
    Der Anblick war verblüffend. Die ehemals so düstere und abweisende Fassade des Obsidiantempels war über und über mit Blättern, Zweigen und Blüten verziert worden. Die Mühe, die sich ihre Mitstreiter dabei gegeben hatten, war in der Tat erstaunlich. Der Tempel wirkte, als sei die Zeit spurlos an ihm vorübergegangen und als würde die archaische Kultur, die ihn errichtet hatte, immer noch existieren. Und doch konnte die Arbeit nur von Irene, Malcolm und Patrick stammen, denn sonst war hier niemand. Der Rückschluss, den diese Handlung auf den geistigen Gesundheitszustand der Teammitglieder zuließ, verursachte Hannah Magenkrämpfe. Sie schrak davor zurück, über das nachzudenken, was in all den Stunden geschehen war, in denen sie, Gregori und Abdu verzweifelt versucht hatten, einen zweiten Ausgang zu finden. Doch es gab nur einen Weg, um das herauszufinden. Mit eiskalten Fingern umklammerte sie ihr Gewehr und erklomm den Hügel.
    Sie waren noch nicht oben angekommen, als Irene aus dem Inneren des Tempels trat. Äußerlich unverändert, bemerkte Hannah dennoch den tiefen Ausdruck der Erschöpfung in ihrem Gesicht. Irene schien einen Moment lang irritiert zu sein, doch dann hob sie freudestrahlend einen Arm und winkte ihnen zu. Hannah fiel ein Stein vom Herzen. Insgeheim hatte sie befürchtet, statt ihrer Kollegen eine Horde von halb nackten Wilden vorzufinden. Das war zum Glück nicht der Fall, doch was es mit dem Pflanzenschmuck auf sich hatte, darüber würde noch zu reden sein.
    »Hannah, Gregori, wie wundervoll, euch zu sehen. Malcolm erzählte mir, dass ihr auf dem Weg seid.« Irene war die personifizierte Freundlichkeit. »Ihr müsst entschuldigen, dass wir uns so selten gemeldet haben, aber wie ihr seht, hatten wir viel zu tun.« Ihre Augen leuchteten, als sie stolz ihr Werk präsentierte.
    »Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch reinigen und uns dann Gesellschaft leisten. Ihr werdet uns dann helfen, den Tempel weiter zu schmücken. Er ist noch längst nicht fertig. Doch wenn wir alle mit anpacken, könnten wir es in wenigen Stunden schaffen.« Ein Engelslächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
    Hannah spürte, wie sie erneut von ihrer dunklen Vorahnung überrollt wurde. »Durand ist auf dem Weg hierher. Wir haben keine Zeit für solche Albernheiten.«
    Das Engelslächeln gefror. »Albernheiten?«
    »Ja, genau das.« Hannahs Stimme bekam einen schneidenden Klang. »Während wir uns bemüht haben, einen Weg zu finden, der uns alle hier herausführt, ist euch nichts Besseres eingefallen, als dieses … dieses Monstrum hier zu dekorieren. Ich hatte gedacht, ihr wolltet etwas über den fremden Stein herausfinden. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.«
    Sie ignorierte Irenes sprachloses Erstaunen, als sie an ihr vorbei auf den Eingang zumarschierte. Sie musste jetzt handeln, ehe sie von ihren eigenen Ängsten übermannt wurde. Mit jedem Wort, das Irene gesprochen hatte, war ihr klarer geworden, wie schlimm die Situation wirklich war. Mit Schaudern rief sie sich ins Gedächtnis, was Chris ihr erzählt hatte. Sie hoffte, dass wenigstens Malcolm und Patrick noch bei Verstand waren. Irene, die sich von ihrer Sprachlosigkeit erholt hatte, eilte ihnen nach.
    »Ihr könnt da nicht eintreten«, zeterte sie. »Ihr habt euch nicht gereinigt.« Keuchend rannte sie hinter Hannah her und packte sie an der Schulter. »Der Tempel ist nur denjenigen zugänglich, die reinen Herzens sind und der dreigeteilten Göttin ein Opfer dargebracht haben.«
    Hannah blieb stehen und schüttelte Irenes Hand wie eine lästige Fliege von ihrer Schulter. »Was redest du denn da? Du solltest dich mal hören. Komm wieder zu dir, du bist nicht mehr du selbst. Begreif doch endlich, der Stein ist gefährlich. Ihr alle steht im Begriff, den Verstand zu verlieren. Ihr müsst diesen Ort verlassen, so schnell es geht. Gregori,

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