Medusa
kümmere dich um sie, während ich mit den anderen rede.«
»Das ist zu gefährlich, Hannah. Wer weiß, in was für einem Geisteszustand sich die beiden befinden. Lass mich lieber mitkommen.«
Hannah betrachtete ihn mit einem dankbaren Lächeln, doch sie schüttelte den Kopf. »Danke für das Angebot, aber ich muss das allein durchziehen. Wenigstens einer von uns sollte bei klarem Verstand bleiben. Die Gefahr, dass wir beide von diesem Ding beeinflusst werden, ist viel zu groß. Außerdem braucht sie dich jetzt«, fügte sie mit einem Blick auf Irene hinzu. Müde lächelnd machte sie sich auf den Weg ins Innere des Tempels.
Als sie in die Dunkelheit vordrang, wurde ihr bewusst, wie Recht Gregori mit seiner Warnung gehabt hatte. Ihr war völlig schleierhaft, wie sie reagieren sollte, wenn sich die beiden Männer in einem ähnlichen geistigen Zustand befanden wie Irene. Der Gedanke daran ließ sie frösteln.
Die Dunkelheit wich vor ihr zurück und machte einem kühlen Lichtschein Platz. Er entsprang einer Lampe, die sie neben dem Medusenkopf aufgestellt hatten. Mit Erstaunen gewahrte sie, dass Malcolm und Patrick im Schneidersitz und mit geschlossenen Lidern neben dem Auge saßen und es mit ausgestreckten Händen berührten. Ein unablässiger Strom von Wasser floss ihnen über die Finger und an ihren Armen entlang. Die beiden Männer hatten, entgegen der ursprünglichen Abmachung, das Auge dem gleißenden Schein der Gaslaterne ausgesetzt. Hannah kniff die Augen zusammen. Die hygroskopische Wirkung der Substanz hatte sich auf dramatische Weise verstärkt. Es konnte keinesfalls mehr die Rede von einer zufälligen Erscheinung sein. Dieses Material riss die Luftfeuchtigkeit förmlich an sich, und zwar in einer Weise, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. Die Nebelschwaden drangen, wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, in den Tempel. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn man den Stein ans Tageslicht brachte. Ein Verdacht keimte in ihr auf. Ob sich die hygroskopische Wirkung auch bei Lebewesen bemerkbar machte? Wie verhielt sich der menschliche Körper bei konstantem Wasserentzug? Mochten die geistigen Irritationen ihre Ursache in einer massiven und fortdauernden Dehydrierung haben? Konnte es so einfach sein? Aber was war dann mit den Stimmen, die sie in ihrem Kopf hörte?
Hannah kam nicht dazu, diesen Gedanken fortzuführen, denn in diesem Moment lösten sich Patrick und Malcolm aus ihrer Haltung, erhoben sich und starrten sie an. Sie hatten ihr Kommen bemerkt, und doch wirkten sie auf eine Weise entrückt, wie man es nur von Menschen kannte, die aus einer tiefen Trance erwachten. Die beiden Männer wankten die Stufen herab, und Hannah konnte beim Näherkommen erkennen, dass ihre Wangen eingefallen und ihre Lippen spröde waren. Wasserentzug, dachte sie wieder bei sich. Die Symptome waren eindeutig.
»Ich bin da«, rief sie und bemühte sich, die Besorgnis in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Wisst ihr noch, ihr wolltet mir etwas zeigen. Weshalb habt ihr hier Licht? Wir hatten uns doch darauf verständigt, dass das gefährlich ist.«
Malcolm, der die robustere Natur zu haben schien, zeigte erste Anzeichen des Erinnerns.
»Hannah?«, murmelte er, während er sich mit seiner feuchten Hand über das Gesicht strich. »Was tust du hier? Ist etwas vorgefallen?« Seine Stimme gewann an Kraft, während sich auch Patrick langsam aus der geistigen Beeinflussung der Medusa löste.
»Allerdings. Erinnerst du dich nicht an unser Gespräch? Du hast mich angerufen und mir mitgeteilt, dass der obere Eingang versperrt ist und ihr keinen Kontakt zu Albert und Chris herstellen könnt.«
»Ja, ich erinnere mich. Aber das ist doch schon Tage her.«
Er strich mit der Hand über seinen Kopf. »Seither ist so viel geschehen. Wir haben hier großartige Dinge entdeckt. Komm her und überzeuge dich selbst. Alles andere ist unwichtig.«
»Und ob es wichtig ist«, fauchte Hannah. »Es haben sich Besorgnis erregende Dinge ereignet. Wir haben Chris gefunden. Er hat uns erzählt, dass Albert ein Überläufer war und für Durand gearbeitet hat. Versteht ihr? Der Oberst weiß über alles Bescheid und befindet sich in ebendiesem Moment auf dem Weg hierher. Er kennt unseren Standort, und er wird sich den Stein holen. Notfalls mit Gewalt.« Sie legte so viel Ausdruck in ihre Stimme, dass auch der bornierteste Zuhörer den Ernst ihrer Worte erkennen musste. Doch die Reaktion der beiden Männer fiel anders aus als erwartet. Malcolm
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