Meer ohne Strand
retten. Und das Bein muß genagelt werden. In sechs Tagen wird sie operiert, sie hat große Schmerzen. Vergessen Sie das nicht«,
Robert starrte auf die Tür. Wartete darauf, daß der Arzt sie öffnete, im Zimmer standen zwei Betten, umgeben von Vorhängen. Dr. Mathai ging zu dem Bett am Fenster. Zog den Vorhang auf,
»There’s somebody here to see you. Robert Brauer«,
Wedelte mit der Hand in Roberts Richtung. Sagte,
»Robert Brauer, the one who found you«, Robert stand in der Tür. Mit leeren Händen: Die er nun in die Taschen schob, er hatte den Gedanken verworfen, ihr Blumen, Trauben mitzubringen wie einer alten Bekannten. Jetzt verwünschte er sich dafür, sie trug noch immer den Kopfverband. War noch immer eingespannt in das Foltergestell des Fixateur externe, er nahm die Hände aus den Taschen. Ging vorsichtig durch das Zimmer, wie über eine Eisdecke, im Hinausgehen drückte der Arzt ihm den Arm. Robert trat ans Fußende ihres Betts. Ihr Körper hatte auf dem seinen gelegen. Das Blut in ihrem Haar war getaut von seiner Wärme, sollte er ihre Hand nehmen? Er roch etwas. Erschrak zutiefst vordiesem Geruch: der süßlich war, unangenehm, sie sah ihn an. Wandte keinen Blick von ihm. Von Robert: der dastand und sie ansah und schwieg, er erschrak noch einmal, als ihm klar wurde, wie lange er nun schon einfach so dastand, er sagte,
»I am the one who found you«,
Aber das wußte sie ja bereits: daß er es war, der sie gefunden hatte, etwas flackerte in ihren Augen auf, als er sprach. Flackerte nochmals auf, als er sagte, daß er sich über ihr Erwachen freute: etwas wie Erstaunen, hatte sie sich ihren Retter anders vorgestellt? Möglich. Jung und schön wahrscheinlich, wie einen Prinzen, etwas war ihm im Weg: die fremde Sprache. Die er sonst einigermaßen beherrschte, aber mit einmal fühlte sie sich sperrig an. Störend, wie die Ecke einer mißlungenen Zahnkrone: an der man sich die Zunge aufreißt, so daß man zu lispeln beginnt beim Versuch, sie zu vermeiden, verstand die Eisprinzessin überhaupt, was er zu ihr sagte? Nahm sie den Sinn von Worten auf, sie machte eine winzige Handbewegung.
Deutete auf den Stuhl an der Wand: Aber das mußte er sich eingebildet haben, dennoch ging er um das Bett herum, zog den Stuhl näher. Setzte sich hin. Saß nun neben ihr, in einigem Abstand, sie hatte ein anderes Gesicht, jetzt, wo sie bei Bewußtsein war. Ein herbes Gesicht: eckiges Kinn, Schattenwangen. Kräftige Kieferknochen: wie jemand, der oft die Zähne zusammenbiß. Mit den Zähnen knirschte womöglich, er wollte sich nicht fragen, ob er sie schön fand. Er mußte etwas sagen, er fragte, ob er etwas für sie tun könnte. Ob er ihr etwas besorgen sollte, hatte er allen Ernstes eine Antwort erwartet? Geglaubt, mit ihm, Robert Brauer, würde sie schon reden, sie schloß die Augen.
Schloß ihn aus: mit Augenlidern, die lila waren, hauchdünn, schlief sie nun ein? Auf ihrer Stirn stand eine steile Falte,
»Das arme Kind.«
Wer hatte gesprochen? Die Patientin hinter dem anderen Vorhang. Robert hatte das ganz vergessen: Er war nicht allein mit der Eisprinzessin,
»Sie ist so allein«, sagte die Stimme hinter dem Vorhang. »Es ist wirklich schrecklich, ich bin die einzige, die mit ihr spricht. Ich bin sehr froh, daß Sie sie besuchen kommen, würden Sie wohl mal meinen Vorhang aufziehen?«
Er gehorchte. Sah in ein kleines Gesicht, runzlig, tiefgebräunt. Mit einem Kopfverband, wachen braungelben Augen darunter: die ihn betrachteten, eine Hand streckte sich ihm entgegen,
»Dorothy. Dorothy Benning«, es war die linke Hand. Der rechte Arm, das Bein lagen in Gips. Der krakelig mit roten Herzen bemalt war, Dorothy Benning sagte,
»So also sieht ein Held aus. Ich habe mir immer gewünscht, mal einen richtigen Helden zu sehen«,
Machte sie sich über ihn lustig? Sie lächelte. Ihre Augen waren schön: golden, wie die eines großen Hundes. Eines Setters vielleicht, sie sagte,
»Sie sind aus Deutschland, nicht wahr?«
Er spürte den üblichen Stich. Den kurzen Moment des Widerwillens: der ihn mehr als alles andere an das Land band, aus dem er stammte, er nickte. Räusperte sich, sagte,
»Ich bin Robert Brauer.«
»Ich weiß«, sagte Dorothy Benning. »Die Ärzte haben über Sie gesprochen. Und es stand ja auch in der Zeitung,wer Sie sind, was Sie getan haben, ich sage Ihnen mal was: Die Ärzte glauben, sie kann sich nicht erinnern. Aber das stimmt nicht. Sie will sich nur nicht erinnern. Sie hat keine Lust dazu,
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