Meer ohne Strand
alles Persönliche für das Gemeinwohl geopfert hatten?
Sie hatten vielleicht gesiegt.
Die, die ihre Frauen verrieten: Aber was sollte das alles?Was sollte der Satz denn bedeuten: für ihn, Robert Brauer, was hätte er für Natalie verraten können? Was bedeutete ihm so viel, daß ein Wort wie Verrat angemessen gewesen wäre: und hätte Natalie einen solchen Verrat denn bemerkt?
Aber darum ging es nicht. Es ging nicht darum, was Natalie bemerkt oder nicht bemerkt hätte, Robert stand auf. Ging zum Fenster, das sich nicht öffnen ließ, sah hinaus in die Nacht.
Die draußen wartete, eisig und leer. Die Vermontnacht: reglos vor Frost. In der er mit ihr im Schnee gelegen hatte, mit einem Ruck zog er die Vorhänge vor. Gleich morgen früh würde er Gabriels Wagen abholen. Dann würde er abreisen.
Die Formalitäten zogen sich länger hin, als er gedacht hatte. Als er endlich ins Hotel zurückkam, war es schon gegen Mittag. Er packte. Fuhr dann in die Stadt. Aß einen Hamburger in einem chromblitzenden Fifties-Diner in der Nähe des Krankenhauses, sah dabei aus dem Fenster, der Tag war strahlend, blausilber. Er sah ein Pärchen in Ski-Overalls, das sich küßte. Sah das Haus gegenüber: Bürogebäude. Mit kleinteiligem, von geschnitzten Säulchen umrahmtem Sprossenfenster, darüber ein Gesims mit einem Dreiecksgiebel: Aedicula. Ursprünglich ein freistehendes Tempelchen für den Hausgott, in der Renaissance Fassadenbestandteil geworden, der Fachausdruck verlieh ihm Sicherheit. Das Fachwissen: das ihn wirklich werden ließ für sich selbst, er war der Architekt Robert Brauer. Aber das Tempelchen drüben umrahmte nichts mehr. Noch nicht einmal die üblichen Ikonen geborgener Häuslichkeit: Vorhänge oder eine Topfpflanze vielleicht, er sah das kälterote Gesicht einer Frau, die ihrSpiegelbild in der Dinerscheibe betrachtete. Hinter der Robert saß und Kaffee trank, bis er endlich Bogner anrufen konnte, vielleicht hätte es der Eisprinzessin gutgetan, wenn man sie spazierengefahren hätte? In einem Rollstuhl möglicherweise, es war natürlich ein absurder Einfall. In München war alles in bester Ordnung. Bogner kam gut allein zurecht: Das sagte er zu Robert, mit dem leicht irritierten Unterton, der Robert auf die Nerven ging, Robert fuhr durch die Stadt, auf der Suche nach einem Blumenladen.
Fand keinen, ging schließlich in ein Warenhaus: um der Eisprinzessin zum Abschied ein paar Pralinen zu bringen, sie durfte doch sicher Pralinen essen? Dorothy Bennings Bett war leer, als er hereinkam. Die Vorhänge um das Bett der Eisprinzessin waren geschlossen. Er flüsterte etwas,
»Hello? Hello«,
Zog vorsichtig den Vorhang zur Seite, sie schlief. Er setzte sich auf seinen Stuhl, so geräuschlos wie möglich. Legte die Pralinen auf den Nachttisch: die ihm jetzt albern vorkamen in ihrem blumigen Karton, er saß neben ihrem Bett, wartete. Mußte doch wenigstens warten, bis sie erwachte, er sah sie an, sah wieder weg. Hatte nichts zu lesen dabei: sah aus dem Fenster. Sah die Vorhänge an. Betrachtete seine Hände. Betrachtete endlich doch wieder ihr Gesicht, ihre Züge waren schlafweich. Die Wimpern lagen reglos und schwarz auf den Wangen, der Mund war ein wenig geöffnet. Es war ein seltsam altmodischer Mund: feinlippig und geschwungen wie Münder auf manchen alten Gemälden, er sah wieder aus dem Fenster. Ein Baum stand davor. Stand schwarz und nackt in der Sonne, er fühlte eine tiefe Trauer.
Die mit ihm selbst zu tun hatte: nicht mit der Schlafenden, einen Moment lang sah er sich selbst, von außen. Sah einen leicht übergewichtigen Mann, zusammengesunken auf seinem Stuhl, draußen auf dem Flur hörte er manchmal Stimmen. Von Zeit zu Zeit näherten sich Schritte, verklangen dann wieder, er war umsonst hergekommen. Würde allein bleiben mit dem, was geschehen war. Würde einsam zurückbleiben: in einer Nacht, die reglos gewesen war vor Frost, die Einsamkeit war ein Kokon, wattig. Seine Einsamkeit, die der Frau auf dem Bett, es mußte irgendein magisches Wort geben. Das ihre Zunge lösen, sie zum Sprechen bringen würde: wenn es ihm nur endlich einfiele, als er das nächste Mal zu der Schlafenden hinsah, erschrak er: Ihre Augen waren offen.
Waren auf ihn gerichtet ohne jede Regung, wie lange sah sie ihn schon so an? Und sah sie ihn denn, nahm sie ihn überhaupt wahr,
»Please«, sagte er.
Er beugte sich vor, sagte,
»Erinnern Sie sich denn gar nicht, wir lagen im Schnee«, sagte, »Bitte. Wir beide. Es war keiner sonst
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