Meer ohne Strand
nachts weint sie ja immer! Und nachts, das ist doch die Zeit, wo man sich erinnert, natürlich versuche ich, sie zu trösten. Es ist schwierig, ich kann sie ja nicht anfassen. Aber ich sage etwas zu ihr. Oder ich singe ihr vor. Manchmal singe ich ihr irgendein Kinderlied vor, wissen Sie was? Ich glaube, sie möchte sterben. Und sie wird auch sterben, wenn sie sich nicht trösten läßt. Sie wird einfach aufhören zu leben. Sie versucht, mit dem Leben aufzuhören, darum spricht sie nicht, wie lange bleiben Sie denn?«
Sein Rückflug war für die nächste Woche gebucht. Aber er konnte zurückfliegen, wann er wollte,
»Ich werde nämlich in ein paar Tagen entlassen«, sagte Dorothy Benning. »Ich hatte ja nur einen Skiunfall, dämlich, was? Wenn alte Schabracken wie ich sich noch auf der Piste herumtreiben müssen, ich bin wirklich froh, daß Sie sich nun um sie kümmern. Sie werden doch sicher ein bißchen hierbleiben und sich um sie kümmern, nicht wahr? Sie zu trösten versuchen«,
Aber das hatte er nie gekonnt. Hatte Natalie nicht trösten können und nicht seinen Vater, er hörte sich etwas Vages murmeln. Etwas über Verpflichtungen. Er hatte natürlich berufliche Verpflichtungen,
»Natürlich«, sagte Dorothy Benning und nickte. »So ist es immer. Man muß ja so viel unter einen Hut bringen, als Mann«,
Die Eisprinzessin schwieg.
Dorothy Benning schwieg, Robert konnte jetzt gehen. Er hatte die Eisprinzessin gesehen: Dafür war er dochhergekommen, die Eisprinzessin war nicht mit ihm verwandt. Er war ihr nicht verpflichtet, die Eisprinzessin bewegte sich. Über ihre Lippen kam ein kleiner Laut. Ein Stöhnen, Robert fuhr hoch: Aber ihre eigene Hand glitt schon über das Laken. Faßte ein Kabel, drückte einen Knopf, an der Wand begann ein Licht zu blinken.
»Das arme Kind«, sagte Dorothy Benning. »Sie hat wieder Schmerzen, bleiben Sie nur sitzen! Gleich kommt Schwester Melanie«,
Die ein Tablett trug mit einer Spritze, Robert höflich zu gehen bat, er stand sofort auf. Knöpfte seinen Mantel zu,
»Also dann bis morgen«, sagte Dorothy Benning. Die Eisprinzessin hielt die Augen geschlossen. Er ging zur Tür. War schon an der Tür, als er die Stimme hörte. Die Stimme der Eisprinzessin, sie flüsterte. Hauchte,
Pain,
War es das, was sie gesagt hatte? Er sah nur den Rücken der Schwester, die sich über sie beugte, auf dem Korridor lehnte er sich an eine Wand. Wartete darauf, daß das Zittern seiner Knie verging, wieso zitterte er dermaßen? Wieso tat er sich dies hier überhaupt an, er würde es beenden: aber was denn überhaupt? Es war ja gar nichts passiert, was man hätte beenden können, draußen dämmerte es bereits. Er fuhr zu seinem Hotel.
Zu seiner Lodge, mitten in einem Vermonter Skigebiet: wo er nun doch noch gelandet war, sollte er Julia anrufen? Oder Natalie. Die Wucht seines Widerwillens verblüffte ihn. Er aß im Speisesaal des Hotels, ging dann auf sein Zimmer.
Lag allein auf dem riesigen Bett. Schaltete den Fernseher an, sah den Fetzen eines Footballspiels. Später einenalten Hitchcock: dessen deutscher Titel ihm nicht mehr einfallen wollte, er trank den Whisky, den er in einem Liquor Store gekauft hatte, draußen auf dem Hotelflur hörte er Stimmen. Eine Männerstimme, das leise Lachen einer Frau: die nichts mit ihm zu tun hatten, er war allein.
Würde fortan allein bleiben. Würde nun altern. Ohne Natalies Blick würde er alt werden: ohne den verwandelnden Blick, Du bist wunderbar, Robert, er mußte sein Leben nun entsprechend einrichten. Er konnte sich immerhin einen Hund kaufen. Konnte sich gelegentlich eine Geliebte nehmen, schon der Gedanke daran erschöpfte ihn. Er hatte noch seinen Beruf. Trug die Verantwortung für fünfzehn Mitarbeiter, für die wirtschaftliche Situation ihrer Familien, er würde Udo Bogner anrufen.
Würde seine sofortige Rückkehr ankündigen, er hatte den Hörer schon in der Hand: Aber in Deutschland war es nach sechs. Bogner war vielleicht schon zu Hause. Bei seiner Frau, den beiden Kindern: deren Namen Robert immer verwechselte, es war besser, bis morgen zu warten. Morgen würde Robert Gabriels Wagen abholen, nach Cape Cod zurückbringen, dann abreisen, ein Satz fiel ihm ein.
Den er einmal irgendwo gelesen hatte: Ein Unternehmen, das man für eine Frau nicht verrät, ist nichts wert und dem heben nur schädlich, und warum riß der Satz mit einmal einen Abgrund auf? Den er sofort mit berühmten Namen zu überbrücken suchte, was war denn mit denen, die
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