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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Angler, Robert merkte sich all das. Er fragte nach dem Befinden des Sohnes, während er die Karte studierte. Hörte sich Kindergeschichten an: was der Fünfjährige gesagt, was er angestellt hatte, später aß er, allein.
    Er aß langsam, mit Konzentration. Wollte schmecken, was er aß, hinterher setzte er sich vor den Kamin. Spürte seinen Körper in dem tiefen Sessel, starrte ins Feuer. Betrachtete das Zucken der Flammen. Beobachtete genau, wie sie die Holzstücke anfraßen, er sammelte Gegenwart: Das war es, was er tat.
    Er hatte nicht gewußt, daß er das konnte. Daß er Gegenwart sammeln konnte, bewußt und allein: um sie dann auszugeben an ihrem Bett. Wo er saß und die Tage zählte, für sie. Die Tage bis zu ihrer Operation, noch immer hatte niemand nach ihr gefragt. Sie war vielleicht eine interessante Frau. Vielleicht war sie klug, brillant gar, wie sah sie aus, wenn sie ging? Wenn sie lachte, tanzte, er wollte nicht darüber nachdenken. Manchmal hielt er ihre Hand. Die er schön fand, es war eine kräftige Hand, ohne Weichheit. Eine sehnige Hand: die vollkommen schlaff blieb in seiner, so hatte er sie gefunden: ohneGeschichte. Manchmal sprach er zu ihr. Sprach englisch oder deutsch, wie es gerade kam, sagte etwa,
    You are strong, you know. You are very brave.
    Er glaubte das auch. Er sah das Gesicht an mit den starken Knochen, er sagte,
    The weather is lovely today! Spring is coming, look,
    Er zog alle Vorhänge auf. Wies zum Fenster: vor dem der nackte Baum in der Sonne stand, von ihrem Bett aus hätte sie den Himmel gesehen und die äußersten Zweige des Baumwipfels. Aber sie sah niemals zum Fenster. Er legte seinen Kopf auf ihr Kissen, um zu wissen, was sie gesehen hätte: die Kalligrafie dünner Zweige auf blauem Himmel, er sagte,
    Dein Blut fing an zu schmelzen, verstehst du das nicht? Du hattest gefrorenes Blut in den Haaren, ich habe gedacht, warum tust du das, Robert Brauer? Warum stirbst du hier, für eine Fremde,
    Jetzt sprach er deutsch: damit sie ihn nicht verstand. Er saß auf seinem Stuhl, sah aus dem Fenster, wo der Baum stand, er sagte,
    Es ist an meinem Hals geschmolzen, dein Blut, soll ich das vielleicht vergessen? Und nun liegst du hier und hast solche Schmerzen, wie soll es denn weitergehen? Mit dir, mit mir, ich habe dir das doch gesagt, im Schnee. Ich habe dir gesagt, daß es alles umsonst war, wenn du mir stirbst. Daß du nicht einfach so sterben kannst, als hätte es diese Nacht für mich nicht gegeben. Als hätte es mich nicht gegeben, in dieser Nacht,
    Er selbst verstand nicht, was er ihr sagte. Wahrscheinlich sagte er gar nichts. Konnte nicht einmal fühlen, was er da redete. Redete aber trotzdem weiter: so lange, bis das Reden in ihm für diesmal versiegte, einmal fand ereine Muschel auf der Straße, mitten im verharschten Schnee. Die nahm er mit.
    Einmal mußte er draußen vor ihrer Tür warten: ein Verband wurde gewechselt. Er hörte sie weinen, durch die geschlossene Tür, dann durfte er wieder zu ihr hinein. Er nahm ihre Hand. Hielt sie, hob sie an. Strich mit einem Finger der anderen Hand über ihren Handrücken, spürte etwas: einen Gegendruck.
    Nur den Hauch eines Drucks. Es war nicht mehr als eine Erhöhung des Gewichts ihrer Hand. Es war das Maximum von Kraft, das sie aufbringen konnte, dessen war er ganz sicher, es nahm ihm den Atem. Es warf ihn um.
    An diesem Abend war er nicht müde. Fand keine Ruhe zu seinem Gespräch mit James Healey, fand keine Ruhe vor seinem Kamin, er ging in der Lobby herum, besah sich die Stiche. Die aus unerfindlichen Gründen englische Jagdszenen darstellten, er wünschte, er hätte sich für sie interessieren können. Er ging nach oben und holte seinen Mantel. Ging noch einmal auf die Straße hinaus: die leer war, der Wind war eisig, wo wollte er überhaupt hin? In eine Kneipe vielleicht, um sich zu betrinken. In den Diner am Krankenhaus, er ging wieder zurück ins Hotel. Schaltete in seinem Zimmer den Fernseher an, während er noch im Mantel war, Robert de Niro hing dreckverschmiert und irre unter einem fahrenden Auto: Cape Fear, Robert schaltete wieder ab.
    Setzte sich aufs Bett, um die Stiefel auszuziehen, pfiff jetzt tonlos vor sich hin: einen alten Beatlessong, über eine Amsel. Erwog, irgend jemanden anzurufen. Jemandem zu erzählen, was heute passiert war, was war passiert? Auf Socken ging er durchs Zimmer, löste ein Bieraus einem Sixpack. Öffnete es mit einem Feuerzeug, trank, das Bier war bitter, noch kühl. Allein in seinem

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