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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Sportler, der einen Rekord im Weitsprung gebrochen hatte, was sollte das? Warum meinte er, dies müßte sie interessieren, sie humpelte auf ihren Krücken durch den großen Wohnraum. Kämpfte gegen den Schwindel an: der sie ganz plötzlich überfallen, ihr gefährlich werden konnte, Robert half ihr in ihren Sessel. Wo sie saß und hinausblickte auf den Strand, auf das Wasser der Bucht, manchmal trieb der Wind Regenböen gegen die Scheiben. Manchmal schien die Sonne, dann konnte man die Glastüren öffnen. Konnte das Meer hören: den Rhythmus des Meeres, sie schloß die Augen. Hielt ihr Gesicht in den Schein der Aprilsonne, sah dann plötzlich Jacques am Steuer des Wohnmobils: sein Profil, der Schmerz war unglaublich.
    Dennoch wagte sie sich weiter vor. Tastete, tastete, bis wohin würde sie diesmal kommen? Nicht bis zu dem Unglück. Niemals bis dahin, wo ihr jemand die Knochen zerschmettert hatte, Robert glaubte ihr das nicht: daß sie sich nicht erinnerte. Oder nicht an das, was ihn vor allem anderen zu interessieren schien: an das Unglück. Den Überfall. Den Moment, als der Baseballschläger auf sie herabgesaust war, der Schmerz wuchs, je weiter sie dorthin vordrang. Je näher sie jenem Moment kam, der Schmerz wuchs bis an eine äußerste Grenze. An der Sina abbrach. Abprallte, die blaue Linie wieder hinabrutschte: die Kugelschreiberlinie, mit der sie ihre Fahrtroute auf der Karte markiert hatten, wieder stand sie vor Billy Todds Haustür. Begann ein weiteres Mal ganz von vorn, stieg noch einmal ein in ein riesiges amerikanisches Motorhome. Fuhr noch einmal los.
    Durch Land, das vollkommen flach war: Sumpfland, Mangroven. Zypressen, die Äste behangen mit Spanischem Moos. Trailer Parks. Neonreklamen: Budweiser, Heineken . Schilder, irgendwo nirgendwo: Wright’s Feed And Seed. Pack & Sack Food Center. Jax Brewery. Ugly Duckling Hardware Store. Fastest Deals On Wheels. Mr. Frostee Milk Shakes . Ein Opossum, das in der Morgendämmerung im Müll wühlte. Kanäle. Sägegras. Häuser ohne Ewigkeitswert: Unterkünfte für ein paar Jahre, rostende Autowracks davor voller Kinder. Palmettos. Villen, halb verborgen im Grün. Weiße Lattenzäune, graue Eichhörnchen im Geäst einer Eiche. Salz: auf der schwitzenden Oberlippe. Auf dem Rand eines Glases, in irgendeiner Kneipe, wo sie gelandet waren, sie blieben nicht auf der Interstate. Folgten keiner festen Route, fuhren imZickzack durch Florida, sie kamen mit dem Wohnmobil nur langsam voran.
    Pausierten oft: weil das Kind quengelte. Weil es zu schreien begann, wenn sie einfach weiterfuhren, es schrie, bis es keine Luft mehr bekam. Bis es wegblieb, sein Kopf flog von einer Seite zur anderen, sein Körper wurde brettsteif, sie fand etwas heraus: Sie mußte ihm ins Gesicht blasen, um die Atmung wieder in Gang zu bringen, womit rang es denn nur? Ihr Kind: während Jacques fuhr, sie hielt es auf dem Schoß. Wiegte es, sang. Ließ einen Schlüsselbund klingeln: um die Dämonen zu verscheuchen, die Spaß daran hatten, ein so kleines Kind zu quälen, es hatte keine Mutter. Hatte nicht einmal eine Erinnerung an seine Mutter, nachts schlief es zwischen Sina und Jacques auf dem Bett hinten im Wagen. War geborgen, gut aufgehoben für diesen Moment: Der Gedanke erfüllte sie mit so tiefer Befriedigung, als wäre sie selbst dieses schlafende Kind. Die frühen Morgenstunden in Nordflorida waren kühl und schmeckten nach September. Die Sonne schien scharf aus knallblauem Himmel, irgendwo bei Ocala sahen sie viele Pferde. Fuhren durch Parklandschaft unter offenem Himmel, dann wieder Sümpfe. Alligatoren. Über einem See flogen Blaureiher auf. Dann Wald: Pine Trees, Live Oaks, deren Kronen ungeheure Dome bildeten über den Straßen, St. Augustie. Fort Matanzas: das Jacques unbedingt besuchen wollte,
    »Gemetzel. Fort des Gemetzels, die Spanier haben da jede Menge Franzosen abgeschlachtet. 1565 war das«,
    »Warum weißt du das so genau, Jacques«,
    Er zögerte. Sagte dann,
    »Du weißt doch, ich bin selber Franzose«,
    Aber die alte Holzkonstruktion war längst durch eine Befestigung aus Kalkstein ersetzt worden. Sein Gesicht verdüsterte sich mit jedem Schritt, schließlich wollte er weg aus dem Fort. Wollte auch nicht mehr in die Stadt zurück, in einem Supermarkt kauften sie Brot, Tequila. Fuhren hinab zum Strand: wo man in einem State Park campieren konnte, im Abendlicht stapften sie durch die Dünen. Die Küste sah wild aus, verlassen. Pelikane schaukelten auf den Wellen. Der Wind war

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