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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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nennst du morgens, und, wie geht es jetzt weiter? Bleibst du hier? Ist das das Ende unserer Tour, hast du deine Bestimmung gefunden, in diesem Nest«,
    Er war also zornig. War womöglich eifersüchtig: und mit welchem Recht? Er hatte sich gestern vielleicht übernommen. Hatte die eigene Großmut überschätzt, sie sah, daß er den Löffel in die Spüle räumte. Daß er ein Tuch holte, die Breireste wegwischte: seinen Ausbruch schon wieder bereute, sie sagte,
    »Komm, laß das, Jacques. Wenn ich geduscht habe, fahren wir weiter«,
    Er antwortete nicht. Sie nahm ein Badetuch aus dem Schrank, frische Wäsche. Ging unter die Dusche, hörte ihn dann rufen,
    »Sina? Sina, laß dir ruhig Zeit, unter der Dusche«,
    Hörte, daß er zu singen begonnen hatte. Ein spanisches Lied. Er hatte ihr einmal den Text übersetzt -
    Weinend werden wir geboren, und weinend sterben wir .
    – Sie seifte sich ein.
    Fand ihn dort noch einmal wieder, den Mann. Fand noch einmal seinen Geruch, zwischen ihren Beinen: salziger Algengeruch, vermischt mit dem Geruch der Seife, hoffte plötzlich inständig, daß sie ihm ihren Namen gesagt hatte.
    Daß sie noch eine Nacht mit ihm haben würde, einen Abend. Eine Stunde, oder einen Moment, sie drehte das Wasser heißer, spülte die Seife ab. Frottierte ihren Körper, zog frische Wäsche an, frische Jeans.
    Eine Stunde später fuhren sie los.
    Die Küste hinauf, auf der US-17. Vorbei an winterlich einsamen Stränden, geschlossenen Motels, verrammelten Fastfood-Buden, sie sahen die Grenze näherkommen: weil Tafeln für einen Vergnügungspark an der Grenze zu North Carolina warben,
    South of The Border – Only 90 Miles More To Go .
    Dann noch achtzig Meilen. Noch siebzig, sie waren allein miteinander, in ihrem Führerhaus. Sie sangen manchmal beim Fahren: eine Countryschnulze, einen Lovesong, die Nächte waren nun ziemlich kalt. Die Ruhelosigkeit wuchs mit der Bewegung. Sinas Ruhelosigkeit: die zunahm, je länger sie unterwegs waren, Sina mit sich davonriß,
    Fifty miles twenty miles only one more mile .
    North Carolina,
    Nachts hielt sie Maurice in den Armen. Lag in der Mitte, Rücken an Rücken mit Jacques unter einer gemeinsamen Decke, etwas mußte noch geklärt werden. Schließlich sprach sie: aus ihrer schläfrigen Sicherheit heraus,
    »Würdest du eigentlich gern mit mir vögeln, Jacques«,
    In der Stille hörte man draußen den Wind.
    »Wie?« murmelte Jacques, im Halbschlaf. »Ach so. Na ja klar. Natürlich. Vielleicht«,
    Er regte sich nicht. Kehrte ihr weiter den Rücken zu, der warm war und fest, sie ließ sich von ihrer Müdigkeit umspülen, davontragen. Die fremde Sprache, die sie nun immer und ausschließlich sprach, schlich sich in ihre Träume.
    Der Kugelschreiberstrich wanderte weiter nach Norden,
    Virginia
    Maryland
    Die schnurgerade Straße war schnurgerade. Das Singen in ihr wurde leiser, verstummte. Am Straßenrand die metaphorischen Straßenschilder mit ihren Endzeitwarnungen: Last exit Letzter Ausweg. Yield Gib nach. Wrong way Falscher Weg. Do not enter Geh nicht hinein, Do not turn Kehr nicht um, sie versuchte, es Jacques zu erklären: der aber nicht verstand, was sie meinte
    Dead end
    Sie konnte es nicht.
    Konnte nicht weitergehen. Konnte dem Kugelschreiberstrich nicht hinauf in den Norden folgen bis zu seinem Ende, kam aber auch nicht über seinen Anfang hinaus. Kam nicht zurück: nach München zu der Fremden, die ihren Namen trug und die sie nicht interessierte, sie hatte nichts mehr mit ihr zu tun. Hatte sich losgesagt von Sina Beatrice Fischer aus München, irgendwo auf dem Weg nach Vermont
Florida Georgia die Carolinas Virginia Maryland
Washington, D . C.
    Wo die Visitenkarte an der Kneipenwand hing. Die Barfrau saß auf der Theke, als sie hereinkamen. Hatte einen Aschenbecher zwischen den Füßen: den sie beim Aufspringen mit sich herunterriß, Jacques bestellte Bier. Sie knallte die Flaschen auf den Tisch, breit grinsend. Die Visitenkarten hingen an der Wand neben der Theke. Es mochten über hundert sein: Namen in allen möglichen Sprachen, aber nur amerikanische Adressen, Jacques sagte, »Schau mal.«
    Deutete auf die Wand. Auf eine der Karten: Diplom-Kaufmann  P eter Wagner . Büro, privat: Adressen in München, sie kannte die Straße, in der das Büro war: Emanuel Ullrich wohnte um die Ecke. Sie sagte zu Jacques,
    »Diese Straße! Es ist eine schöne Straße, ich kenne sie. Eine Art Allee, ich weiß nicht, wie die Bäume auf englisch heißen. Sie haben Kerzenblüten,

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