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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Blätter wie Hände«,
    Wie Fischgräten: wenn Kinderfinger das weiche Grün zwischen den Kastanienblattrippen herausgeschabt hatten, Jacques sagte,
    »Chestnuts.« Wühlte in seiner Tasche herum. Sagte, »Du hast wahrscheinlich Heimweh, oder. Du wirst jetzt womöglich Heimweh kriegen«,
    Sie sagte, »Nein.«
    Las die Karte noch einmal. Warf einen Blick auf die Bedienung: die nicht zu ihr herübersah, sich mit einem Gast unterhielt. Etwas erzählte,
    »Mer-lot«, sie spuckte das Wort aus wie einen Kirschkern. »Kommt vorhin ein Typ rein, bestellt Merlot. Ich sage: Mer-lot f Wir haben weiß, rot, rosé. Ich kann dir den Weißen dunkler machen. Ich kann dir den Roten heller machen. Du kannst von mir aus Zucker reinkippen, oder Senfs«,
    Sina riß die Karte von der Wand und steckte sie ein.
    Ging am nächsten Morgen allein in die Stadt. Ging in ein Reisebüro, fragte nach Flügen von Washington nach Miami: Sie mußte von Miami aus nach Deutschland zurückfliegen. Mußte bald wieder anfangen zu arbeiten, in der ersten Märzwoche, die Frau hinter dem Computer sagte,
    »Sie sollten am besten sofort buchen. Wenn Sie Anfang März in Miami sein wollen«,
    Sie hätte schon längst wieder arbeiten müssen. IhrChef hatte ihr nur zwei Wochen Urlaub bewilligt, daheim würde sie ihre Kündigung im Briefkasten finden. Würde ihre Wohnung betreten, die Kündigung in der Hand, sie konnte den Staub auf ihren Möbeln sehen. Auf den fremden Möbeln: die Sina nicht wiedererkennen würden nach all der Zeit, ihre Wohnung würde sich weigern, ihr noch zu gehören, auf der Spüle stand vielleicht eine Tasse. Klebte dort fest seit ihrer Abfahrt, in einer Kruste aus Kaffee und Zucker, sie würde den Anrufbeantworter abhören: die Stimmen von Gaby, Johannes. Emanuel vielleicht. Die schon vor Wochen durch ihre leere Wohnung gehallt waren, Sina, bist du da? Bist du wieder zurück, melde dich doch,
    Jacques erreichte währenddessen Vermont.
    Packte seine Sachen zusammen. Gab das Wohnmobil ab. Saß dann in einem Greyhound, sah aus dem Fenster: während er den langen Weg wieder zurückfuhr, allein mit dem Kind, vor Billy Todds Wohnung würde er in sein Auto einsteigen. Würde einen Moment starr auf die Straße blicken: die nirgendwohin führte, dann würde er losfahren. Würde sich im Dickicht der amerikanischen Highways verlieren, das Kind hinter sich auf dem Rücksitz, ihr Ticket war noch bis April gültig.
    »Danke«, sagte Sina zu der Frau am Computer. »Vielen Dank, ich überlege es mir noch einmal.«
    Draußen auf der Straße faßte sie in die Jeanstasche. Holte die Visitenkarte hervor, zerriß sie in vier Teile: die im scharfen Wind über die Straße flatterten, sie tadelte sich für die Theatralik dieser Geste. Es war kalt in Washington. Es wurde kälter, je weiter sie nach Norden kamen
    Delaware New Jersey New York Connecticut
    Hineinin eine klirrweiße Schneelandschaft. In der jeder Zweig, jeder Halm blitzend überfroren war unter strahlender Sonne, sie sangen ein Weihnachtslied: Jingle Bells, lachten. Jacques fuhr sehr langsam auf den Winter Straßen. War das Fahren im Schnee nicht gewohnt: hatte noch niemals zuvor Schnee gesehen. Konnte nicht genug davon kriegen. Berührte den Schnee, leckte daran. Formte Schneebälle, jonglierte mit Schneebällen, sie hielten an jeder zweiten Picknickarea. Packten Maurice in den Schneeanzug, sprangen nach draußen, Maurice ließ sich in den Schnee fallen.
    Wälzte sich im Schnee. Krabbelte auf Sina zu, er konnte jetzt krabbeln. Konnte sich an Sinas Bein hochziehen, er versuchte zu stehen. Zog sich an allem hoch, krähte laut seinen Triumph in die Welt, wenn er stand, sie bauten einen Schneemann für ihn. Hatten aber keine Kohleaugen, keine Möhrennase, Jacques setzte dem Schneemann eine Sonnenbrille auf. Sina machte einen Mund aus einem Kamm. Eine Nase aus Zweigen, Jacques umtanzte den Schneemann, Maurice auf dem Arm,
    »I love you, Sina! Dich, und diesen Schneemann«,
    »Ich liebe dich auch, Jacques«,
    Blind blieb der Schneemann zurück: weil Sina ihm die Brille abnahm, als sie wieder losfuhren, später Wolken von Krähen über einem leeren Feld. Möwen, an einem eisbehangenen Seesteg, in New Haven wechselten sie auf die 91. Fuhren nun weg vom Meer. Fuhren direkt nach Norden,
    Massachusetts
    Jacques sagte, »Ich lasse dich nicht zurückfliegen, Sina. Nicht wahr, Maurice, wir behalten sie einfach hier, ichfinde eine Wohnung für uns. In Miami, oder auf den Keys. Oder meinetwegen in Charleston. Du weißt

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