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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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sie ihn kommentierte, erweiterte, durchsichtiger Trick, sie sah an ihm vorbei zu einem anderen Tisch. Wo ein Mann, eine Frau die Köpfe zusammensteckten. Ihre Gesichter lehnten aneinander, Nase rieb sich an Wange, Wange an Nase, dann drei kleine Küsse: hart wie drei Punkte. Die das Ende offenließen, Jeremy wiegte den Kopf. Sagte,
    »Andererseits, Allan hat mich schließlich nicht mit der Knarre ans Cape getrieben. Ich bin freiwillig mitgekommen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie begeistert ich von der Idee war«,
    Sina unterbrach ihn.
    »Ich erinnere mich an nichts. An gar nichts, verstehen Sie, an nichts, nichts.«
    In der Nacht ertrank Maurice. In einem Kinderplanschbecken, wie sie selbst als kleines Mädchen eines gehabt hatte, er wehrte sich nicht. Versank ganz langsam: wie in einer zähen Flüssigkeit, sie rannte. Kam nicht von der Stelle. Rannte auf der Stelle, kämpfte sich durch den Widerstand der Luft wie durch Kleister, das Planschbeckenwurde durchsichtig. Durch seine Wand hindurch sah sie, wie erst der Körper, dann das Gesicht des Kindes im Wasser versank, eine Stimme von irgendwoher sagte: Wie kannst du denn überhaupt rennen, ohne Zehen?
    Sie stürzte sofort zu Boden. Versuchte vorwärtszukriechen, konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen, die Augen des Kindes starrten sie an: Fischaugen in einem Aquarium, sie wachte auf.
    Mit leeren Armen. Mit rasendem Herzen, höllischen Schmerzen, wieso hatte sie überhaupt geträumt? Ihre Schmerzmittel hatten über Wochen und Wochen alle Träume verhindert. Die Leere ihrer Arme schmerzte. Der Abdruck des Kinderköpfchens auf ihrem Arm: das fehlte wie ihre Zehen. Wie Jacques’ warme magere Gegenwart an ihrem Rücken, um die sie verdammt noch mal nicht mehr heulen wollte, er hatte sie verlassen im Schnee: einen Käfer mit einem ausgerissenen Beinchen. Der bis in alle Ewigkeit eine blaue Linie hinaufkrabbeln, wieder an ihr herabrutschen mußte,
    New Jersey
    Irgendwo in einem State Park. Auf einem Campingplatz, Sina spielte mit Maurice auf dem Bett. Rollte ihm einen Ball zu, fing den Ball wieder auf, Jacques blätterte in einer Zeitschrift: Cartoons. Blickte nicht auf. Sagte,
    »Warum redest du eigentlich englisch mit ihm? Immer redest du englisch mit dem Kind, bring ihm doch Deutsch bei! Warum soll er nicht mit zwei Sprachen aufwachsen«,
    Sein Ton war vorwurfsvoll. Ein Kinderton, quengelig, sie antwortete, ohne nachzudenken.
    »Himmel, Jacques, er ist noch nicht mal ein Jahr alt. Ich bin doch längst weg, wenn er anfängt zu sprechen«,
    Jacques gab keine Antwort.
    Sagte überhaupt nichts mehr, saß an seinem Tisch und starrte in die Zeitschrift, mit verkniffenem Mund, am nächsten Morgen schrie er sie an. Weil sie den Kaffee zu stark gemacht hatte: das sagte er jedenfalls,
    »Dieses Zeug kann man nicht trinken, verflucht noch mal!«
    Sie konnte es nicht glauben. Wurde eisig vor Zorn, kippte seinen Kaffee in die Spüle,
    »Koch dir deinen Scheißkaffee doch selber! Deine eklige dünne Ami-Brühe«,
    Das Kind begann zu schreien. Hatte einen seiner Anfälle, war eine Ewigkeit lang untröstlich, als es sich allmählich wieder beruhigte, sagte Sina: »Schluß. Fahr mich zum nächsten Flughafen. «
    Jacques kletterte auf den Fahrersitz, wortlos und blaß. Sie saß neben ihm. Hielt das Kind fest, Jacques sah stur geradeaus. Sie spürte das Zittern ihrer Arme und Beine, so also endete es. Auf diese Art, sie versuchte zu überlegen, wann und wie sie zurückfliegen würde. Konnte sich nicht konzentrieren. Wußte nicht einmal, welcher Tag heute war, das Kind wimmerte, als wüßte es, was nun kommen würde. Sie waren in einem Ort. Sie hatte versäumt, das Ortsschild zu lesen, aber wo es endete, war auch egal, sie versuchte, das Klopfen ihres Herzens willentlich zu beeinflussen. Versuchte ihr Herz zur Ruhe zu zwingen, Jacques sagte,
    »Hör mal.«
    Räusperte sich, sah sie nicht an. Sah weiter starr auf die Straße, sagte, »Hör mal zu, soll ich dir was erzählen«,wartete ihre Antwort nicht ab. Sagte, »Es ist etwas Lustiges. Etwas zum Lachen, also hör zu, ich erzähle es dir. Das war, als ich ungefähr sieben war. Ich hatte damals einen Hund, erinnerst du dich? Ich hab dir mal von dem Hund erzählt, es war so eine Art Dogge. Ein Doggenrüde. Nicky. Alberner Name für einen Hund, so groß wie ein Pony, und genau das war auch das Problem. Seine Größe. Seinen ersten Besitzern war er viel zu groß, deswegen wollten sie ihn erschießen. Meine Mutter ist also rüber und

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