Meer ohne Strand
dich das erste Mal genau ansah,
Unsere-Orte sind so wirklich wie Brot. Sind flimmernde Schimären: deren Bedeutung sich nicht einmal einem Eingeweihten völlig erschließt, Fishermen’s Wharf, die Kneipe in Wellfleet. Die Salt ponds bei Eastham, ein Strand irgendwo zwischen Orleans und Sandy Neck: wo er sie letzte Woche mit Kirschen gefüttert hat, alles erhält nun endlich Bedeutung. Alles wird Teil ihrer gemeinsamen Geschichte: oder es existiert nicht, er wird ihr alles zeigen.
Wird die ganze Erde ihrer Geschichte einverleiben, die Erde damit verwandeln, er wird mit ihr nach New Yorkfahren. In einer Sommernacht werden sie über die Brücken brausen, die zwischen Newport, Jamestown und dem Festland das Meer überspannen, er wird mit ihr nach Kanada fahren, an die Westküste und weiter nach Hawaii, Tahiti, Robert Dummerjan: der jüngste der drei Söhne.
Der beste, Robert. Der richtige, genau der, der im Märchen immer die Prinzessin bekommt,
Sina sagt das, sie lacht. Robert ist auf dem Weg nach Hause.
Wo Sina auf den Planken des Decks liegt. Die Planken sind sonnenheiß. Beginnen bereits, ins Silbrige zu verwittern, einen Moment lang sieht Sina Jacques, auf einem Steg.
Einem unerreichbaren Steg. Der hoch über ihrem Kopf im Nichts begann, weit draußen in der Leere über dem Meer abbrach: wo das Wasser so still war, daß es den Schatten des Stegs kaum kräuselte, dann spritzte es auf unter Ziegenhufen,
»Sina Sinalina«,
Robert, der vom Supermarkt zurück ist. Der auf ausgerechnet diesen Kosenamen verfallen ist: Sinalina. Warum? Weil er Robert ist, darum. Nichts ist Robert unmöglich. Robert ist Sinas Magier, ihr Prinz. Er ist ihr Held in strahlender Rüstung,
»Verzeih, daß es so lange gedauert hat, Sina, ich habe keinen Parkplatz gefunden. Und dann wurde ausgerechnet am Fishermen’s Wharf einer frei«,
Mühelos schiebt Robert den Seesteg im Norden über den im Süden. Löscht Floridas Stege aus, mit dem Fishermen’s Wharf.
Umarmungen. Küsse.
Geht es so? Geht es, oder tut dir das weh,
Vielleicht, wenn du dich auf die Bettkante legst. Ganz weit nach vorn,
Wenn ich mich am Treppengeländer festhalte. Und du stellst dich hinter mich,
Sie lachten, kicherten. Die meisten Positionen der Liebe verboten sich. Jede Scham verbot sich: Sie mußten technische Fragen erörtern, um sich lieben zu können. Waren von Anfang an jenseits der Scham gewesen: Er kannte ihren Körper länger als ihr Lachen.
Mußte ihn nun noch einmal für sich entdecken, diesen Körper, der ihm vertraut war und vollkommen fremd. Der immer vertrauter, immer fremder wurde, alles konnte sich in ihrem Körper verbergen. Hundert Gefühle, tausend Empfindungen, an die noch keiner gerührt hatte, nun würde er daran rühren oder vielleicht ebenfalls versagen vor dieser enormen Herausforderung, er erforschte ihre Haut über Stunden, mit großem Ernst. Während der Seewind durchs Fenster hereinkam, ihre Haut kräuselte, dann diskret wieder hinauswehte, sie konnte nicht genug davon kriegen: von all dem schwindligen betrunkenen Zeug. Dem üblichen wunderbaren Unsinn, sie flüsterte: Mein Retter. Mein Märchenprinz,
Nie war er mit unpassenderen Bezeichnungen belegt worden. Betrachtete sich im Spiegel: das Haar, das an den Schläfen schon licht wurde, den zu wohlgenährten Körper. Die Tränensäcke, sie legte die Finger um sein Geschlecht. Sagte: In deinem Schwanz pulst ein Stern, Robert, hast du das gewußt? Was lachst du denn, ich kann es doch fühlen! Genau da, fühl doch selbst, du hast einen Stern in deinem Schwanz, du hast einen so wunderschönenMund. Und deine Augen! Du hast wunderschöne Augen,
Mit denen Robert ihn im Spiegel betrachtete: den Helden in strahlender Rüstung Robert Brauer, warum sah sie den Rost nicht? Sie war verblendet. Er war entschlossen, weiterzupolieren. Den Glanz zu erhalten, zu steigern womöglich, er würde Nachlässigkeiten nicht dulden. Würde täglich wieder von vorn beginnen mit ihr,
Wer bist du? Wer bin ich, mit dir,
Er kaufte eine Filmkamera. Filmte Sina am Strand, heimlich, sie sah sich selbst von außen: im Mittagslicht, an der flirrenden Grenzlinie zwischen Sand und Wasser, sie bewegte sich langsam. Ging nicht, hinkte nicht. Schwang sich über den Sand, mit kraftvollen Bewegungen: keine Gazelle. Ein Wal vielleicht, der durch die Wellen glitt mit der Eleganz der Stärke,
»So sehe ich aus? Das habe ich nicht gewußt. Ich habe nicht gewußt, daß ich so aussehe«,
Das Sirren des zurückspulenden
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