Meeresblau
Wohnung dreimal größer als in Wirklichkeit, sodass ich schon Kataloge wälzte, um mir neue Möbel zu bestellen. Dann wurde meine weiße Tapete bunt und mir übel. Kurz nach dem Übergeben schlief ich ein. Vor dem Klo.“
„Für wie lange? Zwei Tage?“
„Nein. Ich knackte genau fünfzig Minuten lang. Falsche Dosierung eben. Dafür brach ich den Rekord im Dauerkotzen. Es ist ein Mysterium, dass bei solchen Gelegenheiten zehnmal mehr aus dem Körper rauskommt, als man reingetan hat.“
Alan verstummte. Schmachtend wie ein Stummfilmschauspieler sah er der Morgendämmerung zu, deren Grün zu Orange wurde, begrenzt von Gelb und leuchtendem Türkis. Vögel tauchten am heller werdenden Himmel auf. Albatrosse, Seeschwalben und Tölpel.
„Von denen müssen wir uns bald verabschieden.“ Der Schiffsarzt deutete mit seiner qualmenden Zigarette auf die Tiere. „So weit, wie wir rausfahren, fliegen sie nicht. Ausgenommen die Albatrosse. Weißt du, dass sie ihr gesamtes Leben fliegend über dem Meer verbringen? Sie fliegen immer, sogar im Schlaf und bei der Paarung. Nur ein Mal im Jahr berühren ihre Füße Land. Und das nur zum Brüten. Aber ich muss bescheuert sein. Erkläre ich das gerade St. Andrews jüngstem Dozenten für Meeresbiologie und Geochemie? Verzeihung.“
„Kein Problem. Schöner Gedanke übrigens. Sein Leben lang zu fliegen.“
„Ja, irgendwie schon.“ Alan legte nachdenklich den Kopf schief. „Da, wo wir hinfahren, gibt es statt Vögel halt geflügelte Fische. Wahre Kamikazeflieger, diese Viecher. Einmal klatschte mir so ein Ding ins Gesicht, als ich gerade meine Probe aus dem Zac pflückte. Ich trug eine Platzwunde davon und der Fisch machte sich auf in den Orkus. Wir brieten ihn zum Abendessen.“
„Armes Ding.“
„Wer? Ich oder der Fisch?“
„Such’s dir aus.“ Christopher streckte sich und gähnte, was Alan mit vergnügtem Grinsen verfolgte.
„Mann, Mann“, brummte der Schiffsarzt. „Du bist ein noch größerer Morgenmuffel als ich. Aber besser, ich reiße dich aus deinem Schlummer als einer dieser Volltrottel. Die hätten nämlich für Ärger gesorgt, das kannst du mir glauben. Verstehen keinen Spaß, diese Spießer.“
Plötzlich stutzte Alan und nahm Christophers Arm in Augenschein. Ein blauer Fleck prangte auf seiner Haut.
„War das Maya? Sieht stümperhaft aus.“
„Das ist nur … nichts.“
„Nur nichts? Schon klar. Falls es Maya war, kannst du von Glück reden, dass du noch lebst. Ihren Crashkurs in Sachen Medizin hat die Gute nämlich bei mir absolviert, und mein zweiter Vorname ist Schlächter. Wer bei mir zum Blutspenden kommt, dem reiche ich Pistole und Eimer.“
Warum Maya diesen Mann mochte, war ihm spätestens jetzt klar. Er war so etwas wie ihr männliches Pendant und löste eine Sympathie in ihm aus, die selbst von Alans indiskretem Gegaffe nicht beeinträchtigt wurde.
„Du denkst dir grade, dass unsere Professorin und ich zusammenpassen wie der Arsch auf den Eimer.“ Der Schiffsarzt nickte gewichtig. „Stimmt. Aber trotzdem waren wir nie ein Paar. Ich bin glücklich verheiratet und schwul, was natürlich nicht ausschließt, dass ich sie süß finde. Maya ist eine Sahneschnitte, für die ich glatt schwach werden würde. Aber wenn zwei Temperamentbolzen aufeinandertreffen, sollte daraus niemals eine Beziehung entstehen. Die dabei entstehende Energie genügt, um einen Atompilz zu erzeugen. Oder wahlweise ein Raum-Zeit-Paradoxon. Maya und ich, das wäre ungefähr so, als würden Zeus und Poseidon sich Ecstasy reinpfeifen und um die Häuser ziehen. Du verstehst?“
„Ich würde dich sowieso niemals an sie ranlassen.“ Er warf Alan einen vielsagenden Blick zu und milderte ihn mit einemZwinkern. „Sie gehört mir.“
„Uuh.“ Der Schiffsarzt wedelte mit der Hand. „Keine Sorge. Ich nehme dir dein Mädel nicht weg. Aber jetzt will ich wissen, warum sie dir das angetan hat.“ Er deutete auf den blauen Fleck. „Warum zum Teufel hat sie mich angefleht, ihr für eine Nacht mein Heiligtum zu überlassen? Hat das was mit dir zu tun?“
„Nein. Oder ja. Mehr oder weniger.“
„Jetzt mal Klartext.“
Er seufzte und suchte nach unverfänglichen Worten. „Sie wollte mir bei ein paar Antworten helfen. Bezüglich einer Anomalie.“
„Anomalie im Sinne von krank?“ Alans Augen weiteten sich. Ob vor Mitgefühl oder Neugier, konnte er nicht definieren.
„Nein.“
„Sondern?“
Christopher holte tief Luft. Das hier war ein guter Zeitpunkt, um seine
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