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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Also, ich entnehme jetzt ein kleines Stück Haut.“ Sie setzte die Stanze an, drückte sie in das Fleisch und ließ keine zwei Sekunden später die Probe in das Röhrchen fallen. „So, das war’s auch schon. Jedenfalls fast. Dürfte ich dir noch ein letztes Mal an die Wäsche?“
    Er nickte und starrte fasziniert auf das Loch in seiner Haut. Er wollte es betasten, als Maya seine Hand einfing.
    „Finger weg. Ich werde es gleich flicken, dann lass ich dich in Ruhe. Als Ausgleich darfst du mich auch piesacken, auf welche Weise auch immer. Ich kann dir gern einen Foltergutschein auf meinen Namen ausstellen.“
    Sie nahm eine Pinzette, packte eine der kleinen Schuppen, die seine rechte Taille zierten, und riss sie heraus.
    Er zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz durch sämtliche Nervenbahnen raste. „Autsch! Das war nicht gerade sanft.“
    „Verzeihung. Ich hatte erwartet, dass du in dieser Hinsicht unempfindlich bist.“
    „Bin ich nicht. Das war die erste und letzte Schuppe, die du von mir bekommen hast.“
    Sie hob sein Hemd auf, setzte ihr süßestes Lächeln auf und reichte ihm das Kleidungsstück. Ein Knurren, halb gerührt, halb erregt, grollte in seiner Kehle.
    „Foltergutschein?“ säuselte sie.
    „Für jede einzelne Nacht, die wir auf diesem Schiff verbringen.“
    „Liebend gern.“ Sie verschloss das Biopsieloch mit zwei Stichen, legte eine Kompresse darauf und fixierte sie mit vier Pflasterstreifen. „Jetzt schlaf eine Runde. Ich verkriech mich mit meinem persönlichen Heiligen Gral und sage dir in ein paar Stunden, was ich rausgefunden habe.“ Sie zog die Handschuhe aus und stand mitsamt dem Tablett auf. Dann murmelte sie ein leises „Danke.“
    „Wofür?“ Christopher legte sich auf das Bett und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Zu gern hätte er Maya an sich gerissen und seinen Hunger gestillt, doch jetzt war es Zeit für sie, sich um andere Dinge zu kümmern.
    „Für alles“, antwortete sie, senkte den Blick und huschte hinaus.
    Eine halbe Stunde verbrachte er in der winzigen Duschkabine, deren Enge den Vorteil hatte, dass man einnicken konnte, ohne umzufallen. Nachdem ihm das Wasser zu einem halbwegs angenehmen Körpergefühl verholfen hatte, holte er sich mithilfe der Bezahlkarte zwei Schokoriegel und drei Wasserflaschen aus dem Automaten, vernichtete beides umgehend und kehrte in seine Koje zurück, um ein wenig Schlaf zu finden. Doch deren Enge ließ ihn kein Auge zutun. Die Wände krümmten sich zusammen, rückten näher und näher, als wollten sie ihn zerquetschen. Er musste hier raus.
    Vielleicht erging es Jeanne genauso, denn sie war seit dem Abendessen nicht mehr aufgetaucht und streunte irgendwo auf dem Schiff herum, vermutlich in Begleitung von Solander. Spätestens nach der dritten Afrikageschichte hatte sie einen Narren an dem alten Mann gefressen und ließ sich von abenteuerlichen Anekdoten unterhalten.
    Er nahm sein Kopfkissen und zwei Decken, schlich an Deck und suchte nach einer geschützten Stelle. Fündig wurde er zwischen zwei knallgelben Containern, die am Heck standen, und richtete sich dort ein provisorisches Lager her. Hier lag es sich weitaus besser. Er fragte sich, was Maya in seinem Blut finden würde. Waren es nur Kleinigkeiten, die ihn vom menschlichen Metabolismus trennten, oder war auf den ersten Blick zu erkennen, dass er niemals humanoid gewesen war?
    Abgesehen von gewissen Hoffnungen, die er hegte, gefiel ihm der Gedanke, dass sie sich mit einem Teil von ihm beschäftigte. So konnte sie wenigstens ein Stück weit in seine Welt eintauchen und ihn vielleicht besser verstehen. Oder es bewirkte das Gegenteil. Im Geiste sah er die Tabelle des Census of Marine Life vor sich, umgangssprachlich auch Volkszählung der Meere genannt. Ein zentrales Projekt von Meeresbiologen zur Erforschung der Ozeane, das Wissenschaftler in mehr als zweiundachtzig Ländern und auch die Crew dieses Schiffes damit beschäftigte, eine globale Datenbank mit neuen Arten zu füllen.
    Ort: Südamerika, tropische Pazifikküste
    Lebewesengruppe: sonstige Wirbeltiere
    Anzahl neuer Arten: 1
    Beschreibung: Chimäre aus Mensch und Fisch
    Ein beunruhigender und doch erheiternder Gedanke, dass ausgerechnet er auf diesem Schiff stand, sich als Forscher tarnte und es als seine Aufgabe betrachtete, der Wissenschaftswelt die ultimative Entdeckung vorzuenthalten. Eine Volkszählung der Meere … das war typisch menschlich. Natürlich stand auch beim Census of Marine Life der Gedanke an

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