Meeresblau
knochenbleich, umrahmt von zerzaustem rotem Haar. Er musste eingeschlafen sein. Gefühlsmäßig waren für ihn nur Sekunden vergangen, doch hinter dem Schatten, der sich über ihn beugte, schimmerte das grüne Band der Morgendämmerung.
„Ganz ruhig. Ich verpfeif dich schon nicht.“ Alan nahm einen Zug von seiner Zigarette und trat zurück. Diesmal trug er eine schwarze Armyhose nebst einem kakifarbenen T-Shirt, auf dessen Brust
Rom brennt und ihr merkt es nicht
stand. „Aber an deiner Stelle würde ich hier aufräumen, bevor die Mannschaft auftaucht. Ist zwar noch früh, aber der Bär steppt hier schon zu unchristlichen Zeiten.“
Christopher gehorchte, zu schlaftrunken, um klar zu denken. Er knüllte sein Bettzeug zusammen, klemmte es sich unter den Arm und trat neben Alan an die Reling.
„Schicker Schlafanzug.“ Der Schiffsarzt grinste und pustete eine Qualmwolke aus. Dunstschwaden hingen über dem Wasser. Ein silbernes Tuch zwischen lapislazuliblauem Himmel und indigofarbenem Wasser. „Ich liebe schwarze Seide. Ist ideal bei dieser Hitze. Schokoriegel? Das ist der letzte. Drei hatte ich schon.“
Er fischte denselben aus seiner Hosentasche und bot ihn Christopher an. Es war unübersehbar, dass die Schokolade unter Alans Körperwärme gelitten hatte.
„Nein, danke.“
„Verstehe.“ Der Schiffsarzt nickte gewichtig. „Zack, rief die Kalorie, und saß auf der Hüfte.“
Er musste lachen. „Darum geht es nicht. Um diese Zeit bekomme ich nie was runter.“
„Richtig so. Ist nur blöd, wenn man die Verbrennung eines Atomkraftwerkes besitzt. Sieh mich an. Ich fresse praktisch pausenlos und sehe aus wie ein magersüchtiges Mitglied der Adams Family. Egal. Sieh mal, ist das nicht der schönste Moment des Tages?“ Der Schiffsarzt lehnte sich mit einem Seufzer purer Zufriedenheit über die Reling. „Der frühe Morgen, wenn die ganze Welt noch schläft und einem das Gefühl gibt, mit sich selbst allein zu sein. Dann kann man noch atmen. Die Tatsache ausklammern, dass unsere tolle Welt auf Lügen aufgebaut ist, und einfach nur existieren. Verstehst du, was ich meine?“
„Ziemlich gut sogar.“ Windböen streichelten über sein Gesicht. Kühl und vom Duft nach Salz durchdrungen. Noch immer spürte er die Anwesenheit der Wale. Irgendwo dort draußen, verborgen hinter Schleiern aus Dunst, zogen sie geduldig durch die dunkle Tiefe. Er fragte sich, wie es sein würde, sie zu berühren. Bei ihnen zu sein und mit ihnen zu schwimmen. Ohne Frage warteten die Tiere darauf, dass er genau das tat.
„Wusste ich doch, dass wir ähnlich ticken.“ Alan rieb sich die dunkel umrandeten Augen. Er sah müde und übernächtigt aus, doch in ihm vibrierte ein Übermaß an Energie. Dieser Mann war wie ein lodernder Stern, der seine Materie im Schnelldurchlauf verfeuerte. „Immerhin vergöttert dich Maya. Wer auf ihrer Wellenlänge schwimmt, muss etwas Besonderes sein. Die Lady ist einfach zu durchgeknallt. Ich mag so was. Würde sie mir nie anders wünschen.“
Christopher fiel nichts zu erwidern ein, weshalb er minimalistisch mit einem Nicken antwortete.
„Lass mal.“ Alan winkte ab. „Normalerweise bin ich morgens so einsilbig wie du, aber auf diesem verdammten Schiff finde ich keinen Schlaf. Da treibt es mich um. Schrecklich, so was. Ich verbrauche ganze Tiegel voll Make-up, nur um diese blöden Augenringe zu kaschieren. Man muss schließlich vertrauenswürdig aussehen. Oder würdest du dir von einem übernächtigten Arzt, der kaum noch geradeaus gucken kann, was sagen lassen?“
Er grinste und entschied, Alan zu mögen. „Ich lasse mir von niemandem was sagen.“
„Du gefällst mir.“ Der Schiffsarzt versuchte sich an einem Rauchkringel, der reichlich unförmig ausfiel. „Hübsche Hülle, rebellischer Kern. Wie auch immer. Zum guten Glück gibt’s Camouflage-Make-up und Pferdeberuhigungsmittel.“
„Pferdeberuhigungsmittel?“
„Als mich mein erster Mann verlassen hat, hab ich mich selbst damit narkotisiert.“
„Aha.“ Er versuchte, seine Überraschung nicht nach außen zu kehren, doch der Versuch scheiterte.
„Keine Sorge, ich bin wieder verheiratet und absolut treu.“ Alans Blick musterte ihn von Kopf bis Fuß und nahm etwas Verklärtes an. „Leider, verdammt noch mal. Ich schwör dir, wenn ich nicht vergeben wäre und du nicht vergeben wärst, dann … egal. Schwamm von gestern. Schnee drüber. Der Trip war jedenfalls grottig. War wohl die falsche Dosierung. Zuerst erschien mir meine
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