Meeresblau
Besonderheit ein wenig herabzuwürdigen. „Also gut. Es ist eine Art Krankheit. Aber nichts Ernstes oder Ansteckendes. Es besteht keine Notwendigkeit, das Schiff zu evakuieren.“
„Aha.“ Alan schnippte seinen Zigarettenstummel in den hinter ihm stehenden Mülleimer. „Von mir aus. Es scheint dir ja gut zu gehen, ausgenommen der Tatsache, dass du ein bisschen anämisch zu sein scheinst. Fühlst du dich oft schlapp?“
Ihm entfuhr ein unwilliger Laut. Sein Gegenüber nahm das zum Anlass, schuldbewusst auf der Unterlippe zu kauen.
„Tschuldigung. Ich geh manchmal zu sehr in meinem Job auf. Deine privaten Angelegenheiten gehen mich nichts an. Aber falls du Hilfe brauchst, komm zu mir. Ich bin zwar ein Sadist, kenne mich auf dem medizinischen Sektor aber besser aus als Maya. Schau mal, ist das nicht schön?“ Alan nickte gen Osten, wo der Sonnenaufgang in einem Feuerwerk aus Rot, Orange und Gold entflammte. „Wenn ich daran denke“, fuhr der Schiffsarzt säuselnd fort, „dass eine winzige Geste der Natur genügt, um uns alle vom Angesicht des Planeten zu fegen, empfinde ich echte Demut. Alles, was der Mensch für so wichtig hält, wäre plötzlich weg. So, als hätte es all dieses Chaos nie gegeben. Die Welt unter Wasser ist so wunderbar einfach. Alles hängt zusammen, alles baut aufeinander auf. Die Regeln sind klar und jedes Lebewesen hält sie ein. Am Anfang steht das Sonnenlicht. Es lässt das pflanzliche Plankton wachsen, von dem sich das tierische Plankton ernährt. Letzteres wiederum ist eine unerschöpfliche Nahrungsgrundlage für die Fischschwärme. Schwärme, die ihrerseits die großen Räuber ernähren. Thunfische, Robben, Schwertfische, Dorsche, Makrelen und Marline. Zuletzt kommen die ganz Großen. Die Delfine, Haie und Wale. Sterben diese Geschöpfe, werden sie am Meeresgrund von Krabben, Aalen und Wirbellosen gefressen. Die Knochen, die übrig bleiben, werden am Ende von mikroskopisch kleinen Lebewesen zu Stoffen zersetzt, die das Wasser und damit das pflanzliche Plankton düngen. Alles beginnt wieder von vorne. All diese wunderbaren, perfekt aufeinander abgestimmten Symbiosen. Jedes Mal, wenn ich mir vor Augen führe, dass dieser Kreislauf seit Ewigkeiten funktioniert, dann hasse ich meine Spezies. Sie hinterlässt eine Spur der Vernichtung in ihrem Kielwasser, die ihresgleichen sucht. Der Mensch erfüllt im Kreislauf der Dinge keine Aufgabe mehr. Wenn wir es ganz klar und nüchtern betrachten, ist er nichts weiter als eine Plage ohne Sinn und Nutzen. Zu Land wie zu Wasser benimmt er sich wie ein respektloser Rüpel.“
Plötzlich wurde eine Tür aufgestoßen. Synchron fuhren sie beide herum, als etwas Weißes auf sie zuschoss.
„Da bist du ja.“ Maya umfasste Christophers Schultern und strahlte, dass es eine wahre Freude war. „Kommst du mal eben? Ich muss dringend mit dir reden.“
„Guten Morgen, Maya.“ Alan betrachtete sie mit unverhohlenem Wohlgefallen. „Der Kittel steht dir ausgezeichnet. Ihr beide solltet euch dringend fortpflanzen. Was gäbe das für reizende Kinder. Tut mir den Gefallen, ja? Solche Gene zu verschwenden wäre pure Sünde.“
„Falls es klappt, ernennen wir dich zur Patentante. Jetzt komm schon.“
Maya packte Christopher am Arm und zog ihn hinter sich her. Die Treppe hinunter, in den Schiffsbauch hinab bis zu ihrer Koje. Hastig schob sie ihn hinein und schlüpfte hinterher.
„Das ist der Hammer. Ich habe mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit.“
Es fiel ihm schwer, sich zu sammeln. Gedanklich stand er noch immer mit Alan an der Reling und hörte ihn über den Kreislauf der Dinge schwadronieren. Maya drückte ihn auf einen Stuhl, setzte sich auf den zweiten und tippte ihm auf die Brust.
„Also willst du wissen, wie das da entsteht?“
„Nur zu.“
„Das ist fast wie bei Aequorea victoria.“
„Bitte? Du meinst die Qualle?“
„Genau. Das Schimmern entsteht durch das primäre Photoprotein Aequorin. Und da es im Laufe seiner Reaktion nicht chemisch umgewandelt wird, sondern nach der Entstehung des Lichts in den Ausgangszustand zurückkehrt, ist es praktisch unbegrenzt wiederverwendbar. Ist das nicht faszinierend?“
„Nun ja …“ Er dachte nach, während Maya auf ihrem Stuhl auf und ab wippte. „Bei der Qualle entsteht durch Wechselwirkung mit einem fluoreszierenden Protein grünes Licht, aber bei mir muss es was anderes sein.“
„Ja.“ Sie kicherte. „Keine Ahnung, was es ist. Das konnte ich nicht
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