Meeresblau
Wasser auf. Automatisch klammerte sie sich fest und ließ sich hochziehen. Ihr wurde schwarz vor Augen.
Nur Sekunden später, so erschien es ihr, lag sie japsend an Deck. Umringt von einer Menschenmenge.
„Was sollte das?“ Alan redete auf sie ein. Sein rotes Haar stand zu Berge, als hätte ihn ein Blitz getroffen. „Bist du gesprungen? Heiliger Assisi, du stinkst wie eine ganze Schnapsbrennerei. Was ist passiert, Maya?“
„Wer hat geschossen?“ Ihre Wut entlud sich in einem wüsten Knurren. „Welcher von euch Idioten hat geschossen?“
„Ich war es“, antwortete ein schnauzbärtiger Matrose. „Gestern sahen wir haufenweise Haie. Wir dachten, es wäre einer von denen. Haben nur eine Flosse gesehen und dann … na ja.“
„Du Hornochse“, schrie sie. „Wie konntest du einfach drauflosschießen?“
„Er wollte dir nur helfen“, mahnte Alan. „Er dachte, dass etwas dich angreift. Verdammt, es war nur ein Fisch. Jetzt mach deswegen nicht so ein Theater und komm mit. Du hast eine Wunde an der Wange, ich muss dich untersuchen.“
Mit diesen Worten nahm er sie bei der Hand und zog sie die Treppe hinunter, drängte sie nach rechts und schubste sie in seine Kabine. Mit lautem Knall warf er die Tür hinter sich ins Schloss.
„Jetzt hör mir mal zu, meine Liebe. Reiß dich sofort zusammen, okay?“
„Du weißt genau, dass es kein Fisch war!“ Maya hyperventilierte. Hätte Alan sie nicht festgehalten, wäre sie zusammengeklappt. „Ich bin gesprungen, weil ich dachte, dass … und dann … oh Gott, ich habe ihn festgehalten, als er weg wollte. Es ist nur wegen mir passiert.“
„Sei still.“ Alan packte ihre Schultern. „Du darfst um Himmels willen nicht so ein Theater abziehen. Ihr wart beide schon viel zu auffällig. Wer weiß, wie lange Nico noch rumläuft wie ein hirnloser Tiefseeschwamm. Gut möglich, dass der Zauber demnächst nachlässt. Chris übt schließlich noch.“
Sie wollte etwas entgegnen, doch urplötzlich bahnte sich ihr Mageninhalt einen Weg nach draußen. In mehreren Schwallen landete er auf Alans Kabinenboden.
„Schnitzel und Schnaps.“ Der Schiffsarzt seufzte. „Na toll. In genau fünfeinhalb Stunden legen wir im Hafen an. Dann mieten wir uns ein Boot und suchen nach ihm, okay? Ich bin sicher, dass er an den nächsten Strand flüchtet und …“
„Ein Strand?“ Sie raufte sich die Haare. „Im Wasser wittern die Haie das Blut und am Strand werden ihn Menschen sehen. Das kann nicht gut gehen. Das kann … oh Gott, bestimmt ist er schon tot.“
„Unsinn.“ Alan rollte mit den Augen. „Hör auf, so schwarz zu sehen. Er ist nicht tot. Wo hat das Ding ihn getroffen?“
„Ich glaube, hier.“ Sie deutete auf ihre Hüfte.
„Gut. Das ist keine tödliche Stelle. Außerdem befinden wir uns momentan vor der schwarzen Küste. Das ist so ziemlich der gottverlassenste Ort, den du dir vorstellen kannst. Wenn er sich an einen dieser Strände flüchtet, wird ihn niemand sehen. Also reiß dich am Riemen und mach es nicht noch schlimmer.“
„Noch schlimmer?“ Sie kippte nach hinten auf das Bett. „Wie könnte es noch schlimmer kommen?“
„Sieh es positiv. Wenigstens haben sie es nicht geschafft, ihn auf das Schiff zu ziehen. Sonst läge er jetzt wie eine geangelteForelle in einem Bottich. Tu mir den Gefallen und versuche, in den nächsten Stunden wieder klar zu werden. Ich gehe rüber in mein Heiligtum und suche schon mal alles zusammen, was ich brauchen könnte. Er wird nicht sterben, okay?“
Maya nickte.
„Sehr gut.“ Alan richtete sich auf und klatschte in die Hände. „Weißt du was? Komm am besten gleich mit. Dann klebe ich dir ein Pflaster auf die Wange.“
Maya wusste nicht, wovor sie sich am meisten fürchtete. Der Erfolg ihrer Suche konnte bedeuten, nur eine Leiche zu finden. Kehrten sie erfolglos in den Hafen zurück, würde sie nie erfahren, was mit ihm geschehen war.
Sie sank in sich zusammen und betete, denn etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Während Alan das gemietete Schnellboot in rasanten Manövern aus der Bucht lenkte und dafür sorgte, dass der heftige Fahrtwind ihr den Atem raubte, suchte sie Trost in Erinnerungen. Es half nur ansatzweise. Sie war nicht einmal mehr sicher, ob ihre Nähe zueinander noch vorhanden war. Auf ihrer Seite ohne Frage, aber was fühlte er? Jetzt, da er sich für seine wahre Heimat entschieden hatte? Gehörten sie noch immer zusammen? Und was, wenn er tot war? Wie sollte sie jemals wieder Freude empfinden, wenn diese
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