Meeresblau
gegessen.“
„Wirf es runter.“ Christopher schwamm ein Stück, um wieder aufzuholen. „Mach schon.“
„Aber du solltest dich an den Geschmack deiner natürlichen Nahrung gewöhnen“, widersprach sie.
„Sie hat kaum welchen. Das ist es ja. Wäre ich damit aufgewachsen, würde ich es vielleicht anders empfinden. Aber bin mit Schokolade, Glutamat und Chips groß geworden.“
„Probier es mal mit Calamari.“
„Ich habe was gegen Saugnäpfe. Wirf es runter.“ Wieder musste er aufholen, was seine Ungeduld langsam in Wut verwandelte. Das Schiff lief nur mit geringer Kraft, gerade so schnell, dass man es in Wellenrichtung halten konnte, doch Wind und Strömung trieben es voran. „Jetzt mach schon.“
„Na gut.“ Sie ließ eine Käseschnitte fallen. Geschickt fing er sie auf und verspeiste sie mit zwei Bissen. „Aber das ist keine artgerechte Nahrung für einen Fisch. Wer weiß, was das Zeug in deinem Metabolismus anrichtet.“
„Mehr.“
„Jetzt mal ein Verwandter von dir?“
„Ja.“
Eine Lachsschnitte flog hinab, wurde aufgefangen und mit Begeisterung verschlungen. Anscheinend hatte er die Grenze von schlichtem Verlangen zu echtem Hunger längst überschritten.
„Aus reiner Tierfreundlichkeit.“ Sie verabschiedete sich auch von den restlichen drei Schnitten. „Ich komme mir vor, als würde ich in einem Park Karpfen füttern. Das ist abgefahren.“
„Du wirst gerade beleidigend.“ Sie hörte ihn lachen. „Was ist mit Schokoriegeln? Kannst du mir einen holen? Diese Sorte mit Karamell?“
Natürlich tat sie ihm den Gefallen und kehrte kurz darauf mit zwei Riegeln zurück. Den ersten warf sie ihm hinunter, den zweiten aß sie selbst.
Christopher war überglücklich. „Ich werde nie ohne das Zeug auskommen“, befand er zwischen zwei Happen. „Unmöglich.“
„Das solltest du aber.“ Sie hob mahnend eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Du bist ein wildes, freies Wesen. Schokoriegel sind nichts für dich.“
„Oh doch, sind sie. Hast du noch …“
Plötzlich erklang hinter Maya eine Stimme. Sie fuhr herum. Es war Solander, der mit vergnügt schlenkernden Armen auf sie zugewankt kam. Gerade noch erblickte sie das Bild einer silberweißen Flosse, die in den Wellen untertauchte. Knapp war gar kein Ausdruck für diese Reaktion. Einen winzigen Moment später, und der alte Herr hätte an seinem Verstand zweifeln müssen.
„Alan beginnt seinen Vortrag“, sagte Solander. „Den darfst du nicht verpassen. Und wo steckt eigentlich Dr. Jacobsen?“
Sie kaute unschlüssig auf ihrer Unterlippe. Jeder auf dem Schiff war derart mit Arbeit zugeschüttet gewesen, dass Christophers Abwesenheit nur sporadisch aufgefallen war. „Grippe“, platzte es aus ihr heraus. „Ihm geht es nicht gut. Er kuriert sich aus.“
„Aha.“ Solander setzte ein bedauerndes Gesicht auf. „Wie schade. Also, kommst du?“
Maya warf noch einen Blick auf die Wellen hinunter, seufzte und nickte. „Von mir aus.“
Ihre Konzentration ließ zu wünschen übrig. Alans Vortrag glänzte durch Wortgewandtheit und Humor, doch Mayas Gedanken blieben selten länger als fünf Sekunden bei der Sache. Halb liegend, halb sitzend hing sie in ihrem Stuhl, dachte an Christopher und ihr Schicksal, schließlich an die Tatsache, dass sie alterte und er nicht. Selbst, wenn er wieder zu ihr käme, klaffte ein Abgrund zwischen ihnen, der nicht zu ignorieren war. Im Geiste sah sie sich verschrumpelt in einem Rollstuhl hocken, geschoben von einem schönen jungen Mann, der ihr von vergangenen Zeiten erzählte.
Sie seufzte derart laut, dass Alan seinen Vortrag unterbrach. Er warf ihr ein wissendes Zwinkern zu, legte eine neue Folie auf den Beamer und fuhr in seinem Redeschwall fort. Die Zeiger der Uhr rückten stetig nach vorn. Es ging auf elf Uhr zu, als ihr ein Schatten in der Tür auffiel. Sie fuhr herum, holte Atem und stieß ihn in einem fassungslosen Ächzen wieder aus.
Christopher stand in einer weiten schwarzen Hose und dem dunkelblauen Expeditions-Shirt vor ihr. Die Kleidung, die sie für ihn zwischen den Containern deponiert hatte. Sein Haar war tropfend nass.
„Maya“, zischte er ihr zu, während Dutzende Köpfe herumfuhren. „Komm. Ich muss mit dir reden.“
Ihr blieb kaum Zeit, sein Erscheinen zu begreifen. Er nahm sie am Arm und zog sie mit, den Gang entlang und hinauf in den Technikraum. Zwei Studenten saßen vor den Bildschirmen und blickten neugierig zu ihnen auf.
„Lasst uns allein“, befahl Christopher
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