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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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am Rand der Verzweiflung stand. Wie manisch drehte sich der Schiffsarzt um die eigene Achse und schnappte nach Luft. Sein Gesicht verlor an Farbe.
    Endlich tauchte Christopher vor ihr auf. In seinen Armen hing die erschöpfte, aber lebende Jeanne. Der Blick des Mädchens huschte panisch hin und her.
    „Ich muss wieder runter“, stieß er hastig hervor. „Es gibt noch Überlebende. Bitte kümmere dich um meine Schwester, solange ich weg bin. Lass sie nicht allein. Bitte.“
    Maya presste ein tränenersticktes Versprechen hervor und übernahm den geschwächten Körper des Mädchens, indem sie einen Arm um ihren Brustkorb legte. Wieder verschwand Christopher, und als seine helle Gestalt in der Tiefe unter ihr verschwunden war, sprach sie beruhigend auf Jeanne ein. Um sie zu trösten, um selbst einen Halt zu haben und nicht vollends zu verzweifeln. Was würde jetzt nur aus ihnen werden?
    Ein bunter Schemen am Horizont fiel ihr ins Auge, offenbar ein Containerschiff. Es hielt dem Anschein nach direkt auf sie zu. Möglicherweise war es ihrem Kapitän gelungen, vor dem Untergang einen Notruf abzuschicken.
    In einiger Entfernung tauchte jemand auf. Einer der Studenten. Kurz darauf folgte ein weiterer Junge, zwei Mädchen, ein Matrose und Richard, der Meteorologe. Es lag keine Panik in ihren Gesichtern. Nur eine entrückte, verwirrte Ruhe, die die Menschen wie emotionslose Puppen wirken ließ.
    Eine Nachwirkung des Sirenenzaubers. Würden sie sich erinnern? Oder hatte er das Geheimnis endgültig aus ihren Köpfen getilgt?
    „Die Welle. Das war er, nicht wahr? Wie hat er das gemacht?“ Alan hielt sich strampelnd über Wasser, hochrot vor Anstrengung. „Wie kann man eine Welle rufen?“
    „Er hat sich nur gewehrt.“ Sie hatte das Bedürfnis, ihn zu verteidigen, obwohl Dutzende Menschen durch ihn umgekommen waren. „Er konnte es nicht kontrollieren. Es ist nicht seine Schuld. Wenn, dann meine.“
    „Einige haben es verdient, abzusaufen.“ Alan blickte dem herannahenden Containerschiff entgegen. „Andere nicht. Es hätte nie so weit kommen dürfen.“
    Maya spürte einen Vorwurf in diesen Worten, den sie nicht von sich weisen konnte. Paralysiert, lediglich Blicke austauschend, warteten sie darauf, dass ihre Rettung näher kam. Niemand tauchte mehr auf. Kein Überlebender. Kein Christopher.
    Zehn Seelen waren übrig geblieben.
    Als das Containerschiff in einiger Entfernung stoppte, spürte sie eine Berührung an ihrem Bein. Christophers Hand strich darüber, flüchtig und sanft, und als sie hinab blickte, sah sie ihn in der Tiefe verschwinden. Ein Abschied.
    Vielleicht für immer.

Kapitel 3
Schicksal
    „Wind ist der Welle lieblicher Buhler
.
    Wind mischt vom Grund aus schäumende Wogen
.
    Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser
.
    Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind
.“
    (Johann Wolfgang v. Goethe)

    W eit über ihm zogen sie die Überlebenden hinauf in die Boote. Alan verschwand, Solander, Jeanne und Maya. Das Wasser fühlte sich leer an. Seiner Wärme beraubt. Der von jeder Vernunft abgekoppelte Teil in ihm wollte wieder hinauf, zu den sich entfernenden Booten, um noch einmal bei den Menschen zu sein, die er liebte.
    Christopher versuchte, Maya eine stumme Botschaft der Hoffnung zu vermitteln, doch ob sie ihn hörte, wusste er nicht. Die beiden Nussschalen wurden an Bord des Schiffes gezogen, gigantische Schrauben wühlten das Wasser auf und trugen den Koloss davon. Vielleicht zu dem Hafen, an dem sie vor einer gefühlten Ewigkeit an Bord der Astero gegangen waren.
    Sein Elend vertiefte sich. Ob er jemals nach Skye zurückkehrte, stand nicht einmal in den Sternen. So viele Dinge konnten geschehen, die ihn hindern würden, jemals seine Insel zu erreichen, doch er weigerte sich, darüber nachzudenken.
    Es war besser, wenn er verschwand und alles hinter sich ließ. Wenigstens für eine Weile, bis seine Aufgabe erfüllt war. Vielleicht, und dieser Gedanke saß wie ein kalter Splitter in seinem Herzen, war es sogar das Beste, für immer zu verschwinden. Es war nicht abzusehen, ob die genommenen Erinnerungen der Menschen zurückkehren würden, und falls sie das taten, war seine Nähe für Maya gefährlich. Denn dann stand sie zwischen ihm und der Besessenheit der Wissenschaft.
    Als er in die Tiefe tauchte, die alte Welt und den Schatten des sich entfernenden Schiffes endgültig hinter sich ließ, fühlte er sich matt und leer. Und doch funktionierte ein Teil in ihm mit gewohnter Präzision. Er holte

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