Meeresblau
getroffen taumelte der Taucher zurück.
Ein zweiter Mensch, nur als Schatten im Blau wahrnehmbar, hob warnend seinen Arm. Er ließ die Höhle hinter sich, glitt ins freie Wasser hinaus – und schwamm in die Stränge eines unsichtbaren Netzes hinein. Elastische Stränge wickelten sich um seine Glieder. Hände packten zu, Schatten fielen über ihn her. Je verzweifelter er kämpfte, umso enger umschlossen ihn die feinen Maschen.
Zwei Boote tanzten auf der sonnenbeschienenen Oberfläche. Nach wenigen Augenblicken derart gefangen, dass er sich kaum mehr regen konnte, schleppten die Taucher ihn hinauf an die Oberfläche.
All seine Gedanken galten Maya. Ihr Gesicht war sein letzter Halt und zugleich seine größte Qual. Sie sollte ihn nicht sehen. Nicht wegen ihm leiden und sich die Schuld an all dem geben.
Das Boot kam näher, das Riff verschwamm im Blau. In der Ferne tauchten die Delfine auf, jagten mit aller Kraft näher und erfüllten das Wasser mit wütenden Pfiffen. Ein letztes Mal wehrte er sich, so verzweifelt, dass die Stränge in seine Haut schnitten. Keine einzige Hand konnte er abschütteln. Sie durchstießen die Oberfläche, und als er mit einem schmerzhaften Atemzug Luft in seine noch immer wassergefüllten Lungen sog, wusste er, dass er verloren hatte. Seine Liebe, seine Freiheit, den Kampf für seine Artgenossen und sich selbst.
Jemand packte ihn bei den Schultern und hievte ihn in das Boot. Gesichter schwebten über ihm, Stimmen raunten durcheinander. Mehrere Hände tasteten über seinen Körper.
Die Delfine erreichten sie, als der letzte Taucher sich aus dem Wasser zog. Ein Weibchen erwischte die rechte Hand desMannes und riss sie ab. Ein zweites sprang hoch aus dem Wasser, in der Hoffnung, das Boot zum Kentern zu bringen, doch es rutschte am glatten Rand ab und verursachte nicht mehr als ein Schaukeln. Ein anderes Tier rammte seine Schnauze von unten in den Bug. Dann ein zweites und drittes, bis der Motor aufheulte und selbst das mutigste Tier zurücktrieb.
Dass selbst diese friedfertigen Wesen so verbissen für ihn kämpften, rührte ihn und erweckte zugleich einen so gewaltigen Zorn auf diese Männer, dass seine Emotionen sich auf das Meer und die Elemente übertrugen. Würgend hustete er das Wasser aus seinen Lungen und rang nach Atem. Eine fremdartige Kraft strömte aus seinem Inneren, ungehindert und unkontrollierbar. Er wusste nicht, was geschehen würde. Er wusste nur, dass er etwas Gewaltiges auslöste. Etwas von furchtbarer Zerstörungskraft. Die See hielt den Atem an, ballte tief in ihren Eingeweiden eine namenlose Urgewalt zusammen, von ihm heraufbeschworen.
„Nicht zum Schiff“, stieß er hervor. „Nicht zum Schiff. Es bringt euch um.“
Sie lachten nur, triumphierend und kalt. Gespenstische Stille senkte sich über das spiegelglatte Meer. Etwas geschah, tief unter ihnen. Etwas, das unmöglich zu kontrollieren war.
Max hatte sich vor Maya aufgebaut und präsentierte ein breites Grinsen.
Sie wusste, was seine Miene bedeutete. Diese Made hatte bekommen, was sie wollte. „Ich skalpiere dich, sobald du mir in die Finger kommst“, spie sie ihm entgegen.
Max’ Grinsen gefror zu einer eisigen Grimasse. „Ich lasse euch jetzt raus. Vorausgesetzt, ihr benehmt euch. Es ist sowieso zu spät. Wir haben ihn erwischt. Draußen am Riff.“
Die Worte trafen wie ein Faustschlag in die Magengrube. Als höhnisches Echo hallten seine Worte in ihrem Geist nach.
„Ich habe schon mit dem Institut in Santiago telefoniert“, hörte sie ihn triumphieren. „Natürlich hält man mich noch für einen geistig umnachteten Idioten, aber sie schicken trotzdem jemanden zum nächsten Hafen, den wir in genau …“, er warf einen Blick auf seine Armbunduhr, „zwei Stunden erreichen sollten. So, und nun entschuldigt mich. Ich muss mich um die Entdeckung des Jahrtausends kümmern.“
„Bei Gott,“ fauchte Alan, „eines Tages schlage ich dir den Schädel ein und pinkel auf deine Leiche.“
Max warf ihm eine Kusshand zu und verschwand. Maya glaubte, innerlich zerreißen zu müssen. Solander wollte seinen Arm um ihre Schulter legen, doch sie stieß ihn beiseite.
„Wir müssen zu ihm“, sprach Alan aus, was alle dachten. „Wir sollten bei ihm sein.“
„Können wir gar nichts tun, um ihm zu helfen?“, fragte Solander. „Fällt uns denn nichts ein?“
„Wir müssen zu ihm“, wiederholte der Schiffsarzt. „Das ist im Moment alles, was wir tun können. Vielleicht spielt uns das Schicksal in die
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