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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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war.
    „Momentan wäre ich am liebsten allein“, sagte er unvermittelt. „Damit meine ich nicht dich, Maya. Ich liebe meine Schwester, keine Frage, aber in letzter Zeit würde ich am liebsten einfach verschwinden und weiterziehen wie ein Nomade. Ich weiß nicht, wonach ich suche. Oder ob es das Reisen wirklich besser macht. Wahrscheinlich ist es nur eine Flucht. Gäbe es nur niemanden, der sich verletzt fühlt, wenn man gehen will. Niemand, um den man sich sorgen muss. Wie ist es, nur sich selbst zu gehören?“
    Maya war um eine Antwort verlegen. Sie war allein und hatte niemanden, der ihr nachtrauern würde, doch war sie deshalb freier als er? Christopher sprach mit ihr über seine Gefühle, als seien sie seit Langem Vertraute. Es fühlte sich seltsam an. Berührend. Und es erfüllte sie mit einer Hilflosigkeit, die sie so noch nie erlebt hatte. „Ich könnte jederzeit abhauen“, sagte sie schließlich. „Nur hapert es bei mir am Geld. Irgendwo muss ich mir meine Brötchen verdienen. Als Meeresbiologin gleicht es einem Sechser im Lotto, eine gute Stelle zu bekommen, deswegen bin ich heilfroh, hier gelandet zu sein. Aber lass mal, in ein paar Wochen können wir uns den Wunsch nach Nomadentum erfüllen. Es bedeutet eine Menge Arbeit, klar, aber immerhin sind wir weg. Unterwegs. Und wir folgen unserer Bestimmung oder wie sagt man so schön? Nur was der Mensch versteht, will er auch schützen.“
    „Und was er als schön und nützlich empfindet“, setzte Christopher kühl hinzu. „Es ist immer dasselbe. Einerseits sind da die wirtschaftlichen Interessen der Gönner, andererseits der Drang, das Meer zu beschützen. Beides passt nicht zusammen, weil es gegeneinander arbeitet.“
    Sie hob die Arme und ließ sie wieder fallen. „Klar. Aber ohne Wissenschaftler wie uns, die sich für die richtige Seite einsetzen, wäre die Welt völlig im Eimer. Wir können nach Wegen suchen, beide Interessen Hand in Hand gehen zu lassen. Es ist nicht das Ideal, klar, aber wir tun, was wir können, um es besser zu machen.“
    Nach ihrer kleinen Ansprache starrte er ins Leere. Hell leuchtete seine Haut vor dem dunklen Stein, unwirklich in ihrer Makellosigkeit. Sie kniete nieder, gönnte sich einen nervösen Moment des Zögerns und berührte seine auf dem Grabmal ruhenden Finger. Er fühlte sich sonderbar an. Kühl, glatt und zart. Wieder war da dieses undefinierbare Gefühl, das sie durchströmte. Ähnelnd dem Sog, der manchmal von seinem Blick ausging. Das Bild ihrer aufeinander ruhenden Hände erinnerte an Ying und Yang. Ihre Dunkelheit, Christophers Helligkeit. Sie begriff erst, was sie tat, als er mit einem scheuen Lächeln zu ihr aufblickte.
    Himmel, was war los mit ihr? Sie ging mit einem wildfremden Menschen spazieren und nahm sich einfach die Freiheit, ihn zu berühren wie eine unbeherrschte Idiotin. Ihre Verwirrung war abgrundtief. Darüber, wie wenig sie es vermochte, sich zusammenzureißen und ihre Professionalität zu wahren. Darüber, dass sie sich in der Nähe dieses Mannes wie betrunken fühlte. Genau genommen war sie Christophers Arbeitgeberin, auch wenn sie vermutete, dass er aus reiner Lust am Zeitvertreib in ihr Institut geschneit war. Ein Gefühlschaos von verstörender Intensität wütete in ihr. Es musste an diesem Ort liegen. An der Nacht und an ihm. Er brachte sie aus dem Konzept.
    Spontan erklomm sie die nächste Kiefer, setzte sich auf einen Ast und ließ sich nach hinten fallen. Blut schoss ihr in den Kopf, als sie kopfüber vom Baum hing. Der vertraute Schwindel, als die Welt sich drehte, glich einer Zeitreise.
    Zu ihrer Überraschung tat er es ihr gleich, und als sie beide an ihren Ästen hingen, überkam sie der kindliche Impuls zu kichern.
    „Das habe ich ewig nicht mehr gemacht.“ Sie streckte die Arme aus und berührte mit den Fingerspitzen den Waldboden. „Ich habe vor lauter Arbeit ganz vergessen, wie gut es sich anfühlt.“
    Er warf ihr ein spitzbübisches Grinsen zu. Seine Melancholie war wie weggeblasen und überließ dem Schalk eines zu Streichen aufgelegten Jungen das Feld.
    „Kennst du die Geschichte mit dem weißen und dem schwarzen Wolf?“, fragte Maya und schaukelte am Ast. Als Christopher den Kopf schüttelte, begann sie zu erzählen. „In jedem von uns leben zwei Wölfe. Einer ist weiß und einer schwarz. Der weiße Wolf ist gutartig und fügt niemandem Leid zu. Er lebt in Harmonie mit allem und führt niemals einen sinnlosen Kampf. Aber ist es berechtigt, zu kämpfen, dann tut

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