Meeresblau
das?“
„Es geht schon wieder. Alles in Ordnung.“
Diese Aussage konnte ihr nur ein gereiztes Schnauben entlocken. Er sah schlicht und ergreifend elend aus. „Unsinn. Nichts ist okay. Du bist alles andere als in Ordnung. Du hattest grade einen Erstickungsanfall, der erst besser geworden ist, als du unter dem Wasser standst. Dir wachsen Schuppen und du leuchtest munter vor dich hin wie eine Tiefseequalle. Weiß du, was ich glaube?“
„Ja.“
Er packte sie an den Schultern, zog sie mit einem Ruck zu sich in die Duschkabine und presste sie an seinen Körper. Er musste hohes Fieber haben. Das Wasser schien auf seiner Haut zu verdampfen. Sie legte beide Hände auf seine Brust und blickte zu ihm auf. Sein Gesicht schirmte sie vor dem Wasserstrahl ab, Tropfen rannen über seine Wangen wie Tränen.
„Du denkst, dass mir die Welt aus Luft und Erde mit jedem Tag schlechter bekommt“, flüsterte er an ihrem Ohr. „Und dass ich meine Verwandlung nicht aufhalten kann.“
„Die Welt aus Luft und Erde?“ Sie atmete tief ein. Musste sich beweisen, dass sie hier war. In dieser Wirklichkeit. Bei ihm, unter dem rauschenden Wasserstrahl der Dusche, an seinen Körper gepresst, der womöglich gerade dabei war, seinen letzten Rest Menschlichkeit zu verlieren. Trotz ihrer Angst um ihn konnte sie gewisse Dinge nicht ausklammern. Dinge wie Wassertropfen, die unerhört appetitlich an ihm herabperlten. Haare, die nass auf seiner Haut klebten. Glatte Muskeln unter elfenbeinfarbener Haut und wie Wildseide glänzende Schuppen, die auf Hüfte und Oberschenkel erschienen.
Sie küsste ihn stürmisch. Zwischen atemlosen Berührungen presste sie die Worte hervor, die ihr auf dem Herzen lagen. „Wenn ich ehrlich bin, Chris, wird mir übel bei dem Gedanken, dass wir die nächsten drei Monate auf einem Schiff sind. Hast du eine Ahnung, wie kritisch das wird? Eine winzige Unaufmerksamkeit, und die gesamte Belegschaft aus Wissenschaftlern tickt aus. Die werden dich in ein Labor verschleppen, sezieren, auseinandernehmen und sonst was mit dir anstellen. Warum habe ich dich bloß mitgenommen? Warum war ich so unvorsichtig? Warum bist du so unvorsichtig? Ach verdammt, das alles kommt mir vor wie eine ungeheure Dummheit. Rettungsaktion hin oder her, das kann nicht gut gehen.“
„Gibt es auf dem Schiff eine Dusche?“
„Natürlich.“ Sie krallte ihre Finger in sein Haar und wünschte sich zurück nach Skye. Zurück in ihr schäbiges Institut und in ihre vollgemüllte Wohnung. Vielleicht auch zurück in ihr normales Leben, in dem sie nicht vor der Herausforderung stand, ein magisches Wesen, in das sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, vor ihren Kollegen zu beschützen. Eine Schnapsidee, das war es. Eine idiotische Schnapsidee, die aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Unglück enden würde.
„Komm wieder runter, Maya.“ Er strich ihr das nasse Haar aus der Stirn. „Wenn etwas passiert, kann ich jederzeit ins Wasser flüchten.“
„Verdammt, du machst mich wahnsinnig.“ Sie verpasste ihm einen matten Schlag vor die Brust. Es war äußerst ungesund, permanent zwischen Faszination und Sorge zu hängen. Ihr war klar, dass sie es aus mehreren Gründen nicht fertigbringenwürde, Christopher zu einer Rückkehr zu überreden. Und damit forderte sie auf unverzeihliche Weise das Schicksal heraus. Nicht ihr eigenes, sondern seines. Die einzige Gefahr, die für sie bestand, war die eines Abgrunds aus Vorwürfen und Schuld.
„Du bist viel zu leichtsinnig“, mahnte sie noch einmal. „Du kannst dir die Schlechtigkeit der Menschen gar nicht vorstellen, oder? Lass mich raten. Bisher lagen sie dir ausnahmslos zu Füßen.“
„Ich bin nicht vom Mond.“ Er machte den Eindruck, als amüsierte er sich über sie. „Ich bin mir sehr wohl der Gefahr bewusst und kenne die Konsequenzen, falls etwas schiefläuft. Ich bin kein Naivling, das solltest du eigentlich wissen, wo du meinen Werdegang studiert hast. Denkst du wirklich, ich verrenne mich in Schönmalerei? Außerdem habe ich ungefähr zehnmal Splash gesehen.“
Sie machte sich Sorgen und er Scherze. Wunderbar. „Warum sehe ich mich gerade mit einer Angel über einem Bottich hocken?“
„Ich werde vorsichtig sein, okay?“ Plötzlich schien sein Amüsement in Gereiztheit umzuschlagen. „Ich will mit dir kommen. Ich muss, das weißt du ganz genau. Also hör auf, die Beschützerin zu spielen.“
„Aber mir wachsen keine Schuppen, verdammt noch mal. Ich laufe nicht Gefahr, vor versammelter
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