Meeresblau
Hotel taumelte sie wie im Halbschlaf, brachte es irgendwie fertig, das Formular auszufüllen, und schleppte sich und ihre Tasche in den Fahrstuhl.
„Schaffst du es allein bis zu deinem Zimmer?“ Christophers Stimme hüllte sie in ein warmes Halo. „Oder soll ich dich tragen?“
Der Gedanke gefiel ihr. „Trag mich.“
„Wie Sie wünschen.“
Maya kicherte, als er sie auf seine Arme hob. Genießerisch schmiegte sie sich an ihn, schlief prompt ein und wachte erst wieder auf, als er sie mitten im Hotelzimmer absetzte.
„Da wären wir.“ Er hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. „Gute Nacht, Schönheit. Und träum was Schönes.“
Viel zu schnell verschwand er, doch ihre Müdigkeit war zu tief, um ihm lange nachzutrauern. Das hatte sie nun davon. Erst plagte sie ihren Körper wochenlang mit Schlafentzug und jetzt trug sie die Konsequenzen. Unter größter Anstrengung gelang es ihr, die Kleider auszuziehen und in eines der weißen T-Shirts zu schlüpfen, die sie als Nachthemd benutzte, dann warf sie sich mit Schwung auf das Bett. Weiche Polster, in die man herrlich einsinken konnte. Wunderbar. Kaum war sie unter die Decke gekrochen, dämmerte sie in den Schlaf hinüber. Sie schlief so tief, dass keine Träume zu ihr kamen. So tief, dass sie eine Weile brauchte, bis ihr klar wurde, dass das Klopfen an der Tür real war.
„Wo? Was?“ Sie war völlig desorientiert. Erst nach angestrengtem Nachdenken war ihr klar, wo sie sich befand. In einem Hotelzimmer in London, eingerollt in eine steife, weiße Decke.
„Maya? Bist du da? Ich muss dir was zeigen.“
„Chris?“ Ihr Herz vollführte einen übermütigen Hüpfer. Die Reaktionen ihres Körpers waren derart heftig, dass kein Zweifel mehr daran bestand, wie vernarrt sie in diesen Mann war. Hitze stieg ihr zu Kopf, in ihrem Bauch flatterten klischeehafte Schmetterlinge. Und als sie die Tür öffnete, vollführten diese Schmetterlinge einen wahnwitzigen Veitstanz. Er sah zum Niederknien aus. Die Haare verwuschelt, die Augen glasig vom Schlaf. Er trug eine weite, dunkelgraue Leinenhose, während das weiße Unterhemd Brust und Oberarme viel zu wirkungsvoll betonte. Sein Blick war seltsam. Etwas war im Busch.
„Darf ich reinkommen?“
„Klar. Nur zu.“
Sie wich zurück, sodass er sich an ihr vorbeischieben konnte. Der Duft seiner Haut stieg ihr zu Kopf. Meer, Seife, Moschus. Als ihre Körper sich berührten, spürte sie die verschlafene Wärme seiner Haut. Ein Seufzen entfloh ihrer Kehle.
„Du wirst erfreut sein.“ Er ließ sich auf die Bettkante nieder, sie setzte sich neben ihn. „Ich bin aufgewacht und fühlte mich seltsam. Es tat nicht weh, aber ich spürte, wie … jedenfalls, sieh es dir einfach an. Ich habe etwas herausgefunden.“
Kurzerhand zog er sein Unterhemd aus. Mayas Mund klappte auf. Das Muster war wieder da, doch diesmal war es anders. Für die Beschreibung dessen, was sich ihren Augen nun offenbarte, konnte sie keinen anderen Begriff als magisch benennen. Die Streifen glommen und schienen in einem trägen Rhythmus zu pulsieren. Silbrig blau, absolut überirdisch. Sie starrte auf die fluoreszierenden Reflexe, auf die unwirkliche Glattheit der Haut und seine Hände, die irgendwie … großer Geist!
Ihm wuchsen Schwimmhäute. Seine Haut schimmerte silbrig, zuerst ausgehend von den sich verlängernden Fingern, dann über die gesamte Fläche der Hand. Winzige Tupfen leuchteten auf den Membranen.
„Erfreut?“, hörte sie sich erstickt keuchen. „Du meinst, ich wäre erfreut? Darüber?“
„Ich kann es beherrschen. Schau her.“
Kurzerhand zog er seine Hose etwas hinunter. Helle Erhebungen wuchsen auf seiner rechten Taille und zogen sich bis zur Hüfte. Sie wuchsen, während sie dabei zusah. Doch gerade, als sie begann, diesen Anblick zu begreifen, verschmolzen die Schuppen wieder mit seiner Haut.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein.“ Maya hielt sich mit einer Hand die Stirn. „Du leuchtest wie eine Wunderlampe und dir wachsen Schuppen?“ Wie verrückt war ihr Leben eigentlich geworden? Das durfte nicht sein. Nicht jetzt, wo drei Monate Forschungsschiff auf sie warteten. „Was meinst du damit, dass du es beherrschen kannst? Ist das dein Ernst?“
„Ja.“ Er verwandelte seine Hand noch einmal und ließ sie wieder menschlich werden. „Die Macht des Geistes ist unerschöpflich. Sie siegt über alles Körperliche. Ich stelle es mir vor, konzentriere mich – und es geschieht.“
„Aha.“
Sie hätte erleichtert sein sollen.
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