Meeresblau
Musik, offenbar noch immer eingehüllt in den Nachhall ihres Höhepunktes. Kurz bevor sie zum Flughafen aufgebrochen waren, hatte er sie noch einmal geliebt. Sanft und vorsichtig. Maya erfüllte jede Zelle seines Körpers mit zärtlicher Hingabe und gierigem Hunger. Ungläubig starrte er sie an. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Kopf wippte hin und her. Etwas Friedvolles ging von ihr aus. Zum ersten Mal erschien sie ihm bis in den letzten Winkel ihres Seins entspannt. Lag es an dem, was er letzte Nacht getan hatte? Er redete es sich ein, denn darin lag das Gefühl, seine Macht kontrollieren und Gutes bewirken zu können.
Santiago de Chile
M alerisch schmiegte sich die Stadt in ein weitläufiges Tal, durchschnitten von einem Flusslauf. Auf der einen Seite war sie begrenzt von ockerfarbenen und braunen Hügeln, auf der anderen ragten die schneebedeckten Gipfel der Anden in den Himmel hinauf. Im Tal flirrte die Hitze. Vierzig Grad im Schatten, wollte man der Durchsage im Flugzeug Glauben schenken.
Christopher spürte schon jetzt, dass ihm diese Hitze nicht gut bekam. Während der kurzen Zeit, in der sie auf ihr Gepäck warteten, überzog sich sein Körper mit einem Schweißfilm. Längst waren Jackett und Hemd in der Tasche verstaut, doch selbst das dünne, weiße T-Shirt erschien ihm ob der drückenden Wärme als zu dick.
Er betrachtete die Palmen, deren bedauernswert trockene Wedel im Glutwind raschelten. Der Himmel über der Stadt sah auswie blaues Milchglas. Gebleicht vom Smog, gab er ihr das Aussehen einer Traumkulisse.
Benommen sank er neben Jeanne auf den Rücksitz des Taxis und sah, als der Wagen losfuhr, Santiago nur verschwommen an sich vorbeiziehen. Auf den ersten Blick wirkte diese Stadt wie jede andere Metropole. Es gab gläserne Bürotürme, Hochhäuser und graue Klötze, vermischt mit prachtvollen Kolonialbauten, Denkmälern und Kathedralen.
Auf den zweiten Blick aber offenbarten sich exotische Kleinigkeiten: unbekannte Pflanzen, blätternde Häuserfassaden in himmelblau und violett, gelb, limettengrün, rosa und ocker, an Straßenecken zu Trommelmusik tanzende Menschen, farbenfrohe Schilder auf Spanisch und chaotische Märkte. Unter Platanen musizierten Indios, Künstler warteten hinter kunterbunten Ständen auf Interessenten.
Surreal zog all das an ihm vorbei. Der Schweiß lief ihm in Rinnsalen den Rücken hinab, während er eine Luft einatmete, die man in Stücke hätte schneiden können. Zunehmend rückte jede Erinnerung an Skyes winterliche Kälte in weite Ferne. Ihm wurde übel, doch er versuchte, dieses Gefühl zu unterdrücken, indem er einfach stillhielt und sich darauf konzentrierte, ruhig zu atmen. Ein mühsames Unterfangen bei dieser Schwüle. Noch dazu baumelten drei widerwärtig stinkende Duftbäume am Rückspiegel des Taxis.
„Alles klar?“ Maya, die auf dem Beifahrersitz saß, wandte sich zu ihm um und rüttelte an seiner Schulter. „Hallo? Wie geht’s dir?“
„Was?“ Ihm schwanden für einen Moment die Sinne. Der Lärm der Stadt hüllte ihn in Watte.
„Wie es dir geht, will ich wissen.“ Argwöhnisch hob sie eine Augenbraue. „Du siehst nicht gut aus. Die Hitze hier ist nichts für dich, was?“
„Mir geht’s gut.“ Sein Kopf sackte nach hinten und strafte diese Beschwichtigung Lügen. Inzwischen musste er um jeden Atemzug kämpfen. Ging es etwa los, mitten in der Stadt? Hier in diesem Taxi? Es begann wie im Hotel, als er das Gefühl gehabt hatte, ohne Wasser zu ersticken.
„Bekommst du wieder einen Anfall?“ Mayas Stimme wurde scharf und ängstlich „Du schnappst nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Reiß dich zusammen, okay? Wir sind gleich da, dann bekommst du deine Dusche.“
„Was für einen Anfall?“ Jeanne schrie regelrecht, was den Fahrer animierte, einen besorgten Blick über die Schulter zu werfen. „Was meinst du? Los, sag’s mir!“
„Er braucht einfach nur Wasser.“ Maya legte eine Hand auf seine Stirn, nur um sie erschrocken wieder zurückzuziehen. „Himmel, du glühst ja.“
„Hört auf damit.“ Er schlang die Arme um den Brustkorb und gab ein unwilliges Knurren von sich. „Ich komme mir ja vor wie ein kleines Kind.“ Jeder Atemzug fiel ihm schwerer als der vorherige. Weil er trotzdem versuchte, nicht allzu auffällig nach Luft zu ringen, kompensierte sein Körper den fehlenden Sauerstoff mit einem in den Keller sinkenden Kreislauf. Die Haut seiner Hände wurde trocken und rissig. Kein gutes Zeichen. Gar kein gutes Zeichen.
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