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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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gesellschaftstauglich. Blieb nur zu hoffen, dass sich die Veränderungen seines Körpers in erträglichen Grenzen bewegten und die Wesen dort draußen, die letzten Vertreter seiner Art, seinen Worten Folge leisteten.
    Beeindruckt sah er an der Außenwand des Schiffes hinauf. Über achtzig Meter war es lang, ein metallenes graues Ungetüm, das weit entfernt war von romantischen Seefahrtsträumen. Das Furchtbarste aber war nicht dieser vor Technik strotzende Koloss, sondern der Hafen. Ein heilloses, übel riechendes Chaos. Bunt bemalte Hütten, Touristenläden, Lagerhallen und Künstlerstände säumten eine halbmondförmige Bucht. Monströse Kräne hievten Container auf die Schiffe, Fischer verarbeiteten inmitten der wimmelnden Menge ihren Fang und warfen den am Strand liegenden Seelöwen die Köpfe zu. Schwärme von Möwen pickten in Abfallhaufen herum, dürre Hunde bettelten nach Häppchen.
    Sein Blick blieb an Eingeweidehaufen und abgeschabten, glitzernden Schuppen hängen. All diese Überreste, einst wunderschöner Geschöpfe, verfaulend auf dem schmutzigen Pflaster, aufgehäuft zwischen Müll, Kübeln und blutigen Plastikeimern. Der Anblick zahlloser, ausgestopfter Kugelfische, getrockneter Seepferdchen, abgeschlagener Korallen und präparierter Rochen war ihm plötzlich unerträglich. Beschützerinstinkte loderten auf. Gepaart mit Wut, die scharf auf der Grenze balancierte, hinter der sie unkontrollierbar war. Was würde geschehen, wenn er sie herausließe? Das Feuer kroch durch sein Blut und zerrte an seinen Fesseln. Er musste sich ablenken.
    „Warum sehe ich mich daneben hängen?“, flüsterte er Maya ins Ohr. „Ausgestopft. Oder eingelegt in Alkohol.“
    „Ich finde es gut, dass du dich mit den Konsequenzen eventueller Unvorsichtigkeiten auseinandersetzt.“
    Sie hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme. Wie verführerisch sie aussah mit ihrer kurzen braunen Hose und dem weißen ärmellosen Shirt, ahnte sie vermutlich nicht. Der Duft ihrer Haut brachte unwillkürlich die vergangene Nacht inErinnerung. Maya, geschmückt von perlenden Regentropfen. Ihr Körper, das Geländer, das Plätschern und Rauschen. Er wollte sich in dieser Erinnerung verlieren, doch ihre Stimme hielt ihn in der Realität.
    „Wenn du dich zu sicher fühlst, denk immer an diesen Kugelfisch.“ Sie deutete auf ein im Wind schaukelndes Exemplar, dessen Gesichtsausdruck zwischen Überraschung und Fassungslosigkeit lag. „Er fühlte sich auch sicher, bevor man ihn ins Boot hievte und austrocknen ließ.“
    Ein beunruhigender Gedanke. Benommen vor Hitze fuhr er sich durch die Haare, die schweißnass auf seinem Nacken klebten. In unmittelbarer Nähe rammte ein Mann sein Messer in den Bauch eines halb toten Thunfischs. Die notdürftig niedergezwungene Wut kochte angesichts des zuckenden Tieres mit neuer Wucht auf. Erschrocken hob der Fischer den Kopf, begegnete seinem Blick und erstarrte. Angst weitete seine Augen. Zitternd legte er das Messer beiseite, bekreuzigte sich und stieß rückwärts gegen die Wand seines Bretterverschlags. Mit grimmiger Zufriedenheit spürte Christopher die Panik des Mannes. Er sah ihn an, schleuderte ihm seinen Zorn entgegen und zwang ihn in die Knie. Bis der Fischer ein Keuchen ausstieß, sein Messer beiseitewarf und schreiend die Flucht ergriff.
    „Was war denn mit dem los?“ Jeanne berührte seine Schulter und ließ ihn zusammenzucken. In seinem Gehirn vibrierte es. „Hast du ihm den bösen Blick zugeworfen?“
    „Anscheinend.“ Was genau er getan hatte, war ihm schleierhaft, doch es hatte sich gut angefühlt. So berauschend und erschreckend wie das Heraufbeschwören des Sturms oder das Besänftigen des Meeres. Irgendwo in der Menge erklang aufgeregtes Geplapper und Geschrei. Anscheinend war der Fischer dabei, seinen Kollegen von dem Vorfall zu erzählen. Christopher zog Jeannes Strohhut tiefer in ihr sonnenverbranntes Gesicht und war froh, dass Maya von einer Studentin abgelenkt wurde. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass er nicht von einer Meute abergläubischer Fischer überfallen wurde.
    „Du bist rot wie ein gekochter Hummer, Schwesterherz. Pass auf, dass du dich nicht pellst.“
    Sie kicherte. Wie in einem Vakuum hallte der Laut in ihm wider. Das Meer jenseits der Haufenmauer war tintenblau und lockte ihn mit kaum wahrnehmbarem Flüstern. Er wollte nichts mehr sehen außer diesem Wasser. Nur noch Wind und Weite.
    Als er kurzerhand Maya in die Arme zog, um einen Halt in seiner verwirrenden

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