Meeresblau
wird.“
„Kielholen?“ Dr. Solander, ein Meeresbiologe aus London, erhob sich in der hintersten Reihe und winkte ihr zu.
Maya hatte den älteren Herrn auf der gleichen Fahrt lieb gewonnen, in deren Verlauf sie Max hassen gelernt hatte. Mit seinem silbergrauem Haar und dem sanften Marlon-Brando-Gesicht punktete Solander auf jeder Sympathieskala, noch ehe er den ersten Eindruck durch Redegewandtheit und Niveau vertiefen konnte.
„Eine gute alte Tradition.“ Er tätschelte sich den prallen Bauch. „Wer also meint, mir wieder Garnelen in die Koje zu schütten, den unterziehe ich persönlich diesem Ritual.“
„Schön, dann wird mir wenigstens nicht langweilig.“ Alan saß neben Solander und feixte.
Mit seiner kakifarbenen Cargohose und der explodierten Frisur sah er wie der Letzte aus, von dem man das Prädikat Schiffsarzt erwartet hätte. „Aber bitte holt längs kiel. Und präpariert den Kahn vorher mit ein paar Schiffsbohrmuscheln. Ich brauche Herausforderungen.“
„Unser Alan“, übernahm sie wieder das Wort. „Er kann es kaum erwarten, ein paar Jungs zu foltern. Falls jemand Impfungen nachholen will, dem jagt er gern eine Häkelnadel in den Hintern. Ich für meinen Teil liefere mich lieber der natürlichen Auslese aus, die kaum mehr in vernünftigem Maße unter Homo sapiens grassiert, denn sonst wäre zumindest einer hier längst aussortiert worden.“
Max grinste anzüglich und kratzte sich zwischen den Beinen. „Süße, du weißt genau, dass die Evolution es gut mit mir gemeint hat. Ich bin zur Hälfte ein griechischer Gott.“
„Welche Hälfte?“, gackerte Alan. „Die untere?“
„Oh ja“, schnurrte Max. „Aber du kriegst meinen Liebesknochen nie zu Gesicht. Und wenn du noch so sehr darum bettelst.“
„Lass mal.“ Der Schiffsarzt schüttelte sich vor Vergnügen. „Unter Albträumen leide ich schon genug. Und wenn ich Seegurken untersuchen will, hol ich mir eine vom Meeresgrund.“
Maya konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Als sie fortfuhr, kitzelte ein Lachen ihre Kehle. „Kommen wir zum Kernpunkt unserer heutigen Sitzung. Da ich bezweifle, dass alle meinen Expeditionsplan aufmerksam studiert haben, wird Ihnen Dr. Jacobsen erläutern, was wir die nächsten Wochen tun werden.“
Die Gesichter der Crew glühten vor Spannung. Christophers Ruf als unterhaltsamer Redner eilte ihm weit voraus. Was Maya in Panik versetzte, genoss er vermutlich. In der vorletzten Reihe entdeckte sie Nico, den Molekularbiologen aus Chicago. Sie wusste nicht viel über diesen Mann, denn er war undurchsichtig und zurückhaltend wie kein zweiter. Etwas an der Art, wie er Christopher beäugte, behagte ihr nicht. Hatte er sie vielleicht gesehen, letzte Nacht auf dem Balkon? Ein Sinn für unterschwelligeGefahren flüsterte ihr ein, dass sie auf diesen Mann besonders achtgeben mussten.
„Unsere Route ist rot eingezeichnet, wie ihr alle seht.“ Christopher knipste den Beamer an. Eine Karte wurde auf die Wand projiziert. „Außerdem vollführt sie lustige Schlenker, weil das Schiff an den geplanten Orten der Probenentnahmen einparken muss. Klingt komisch, ist aber so. Zur Route selbst muss ich wohl nichts mehr erläutern. Heute ist übrigens die letzte Gelegenheit zum Luftholen, also nutzt sie. Sobald wir ordentliche Werte über die Topografie des Meeresbodens haben, wird der Bob zu Wasser gelassen. Mit diesem Roboter können wir bis zu fünfzig Meter lange Proben aus dem Meeresboden holen, was sonst nur auf einem Bohrschiff möglich ist. Zudem werden wir mit Gleitern des Instituts IFM Geomar aus Deutschland arbeiten, die in nördlicher beziehungsweise südlicher Richtung auf die Reise geschickt werden. Hier, hier und hier …“ Er tippte mit dem Zeigestock auf die Punkte, „werden wir die CTP-Lanze und den Zac versenken. Für alle Frischlinge: Zac ist unser drei Tonnen schwerer Roboter, der uns nicht nur mit wertvollen Daten und Proben versorgen wird, sondern auch schöne Bilder und Videos vom Meeresboden mit hochbringt.“
Zehn Minuten lang spulte Christopher seinen Text hinunter, und zwar tadellos, obwohl ihm kaum zwei Stunden Zeit geblieben waren, die Einzelheiten zu studieren. Er erläuterte die vorzunehmenden Arbeiten, umriss den Zeitplan und erklärte mit beneidenswerter Gelassenheit, wann wo was und wie getan werden musste. Schließlich beendete er seinen Vortrag und gab das Ruder mit einer entzückenden Verbeugung an sie zurück.
„Danke an Chris für diese wunderbare Einleitung.“ Mayas
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