Meeresblau
zwischen zwei Containern.
„Tu so was nie wieder“, zischte Maya. „Gerade hast du alle Aufmerksamkeit auf dich gezogen. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Irgendwas ist mit dir passiert. Ich meine keine Flossen oder Schuppen. Es war als wenn …“ Sie suchte fieberhaft nach Worten. „Als wäre die Maske deiner Menschlichkeit durchsichtig geworden.“
Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf gegen den Container. Langsam wich der Bann. Eine solche Erschöpfung übermannte ihn, dass er das Gefühl hatte, sich auf der Stelle hinlegen und einschlafen zu müssen. In der Ferne hörte er noch immer die Wale singen, tief unter Wasser. Sie klangen enttäuscht.
„Es war nicht kontrollierbar“, flüsterte er. „Maya, ich konnte es nicht beherrschen. Nicht mal ansatzweise. Vorhin, als wir noch im Hafen waren und du zu mir gekommen bist, war es genauso. Um ein Haar wäre ich gesprungen.“
Sie senkte den Blick. Ihr Schrecken wehte wie ein kalter Hauch durch seinen Geist. „Dann haben wir ein großes Problem. Was ist als Nächstes unkontrollierbar? Das Ausbilden von Kiemen beim Abendessen oder das Zusammenwachsen deiner Beine bei der Projektbesprechung? Du wirst mich verlassen. Alles läuft darauf hinaus.“
Er seufzte nur und ließ zu, dass Maya ihn betastete wie eine Ärztin ihren Patienten. Niemals, beschwor er sich im Stillen. Niemals würde er das zulassen. Aber warum konnte er es dann nicht laut aussprechen?
„Deine Haut ist heiß“, sagte sie. „Die Pupillen so geweitet, dass deine Augen ganz schwarz sind. Was sollen wir dagegen unternehmen?Aspirin schlucken?“
„Hör zu.“ Er drückte ihre Hände beiseite und umfing ihr Gesicht. „Kannst du mir helfen, mehr über mich rauszufinden? Mehr über meine Körperchemie? Ich habe mich mit vielen Wissensgebieten befasst, aber Medizin war nicht darunter.“
In Mayas Augen glitzerte es. Er wusste, welchen Kampf sie ausfocht. Der Wille zu helfen, ihre Angst um ihn und die Neugierde einer Wissenschaftlerin.
„Ich denke schon. Alan schuldet mir noch einen Gefallen. Ich werde ihn fragen, ob er mir sein Labor für diese Nacht überlässt.“
„Gut. Wann?“
„Heute um elf in meiner Kabine? Ich muss gleich unsere Messgeräte auf Vordermann bringen, das wird ein paar Stunden dauern.“
„Laut Plan bin ich heute Abend sowieso damit beschäftigt, eine Horde Studenten in unsere Technik einzuweihen.“
„Ganz recht.“ Sie küsste ihn, und dieser Kuss schmeckte ebenso nach Verzweiflung wie nach Hoffnung. „In ein paar Tagen legen wir in einem Hafen an. Wenn die ganzen Leute schnorcheln gehen, fahren wir mit einem Schlauchboot raus. Nur wir beide. Kannst du die Wale noch mal anlocken?“
„Ja.“ Vorfreude verdrängte seine Sorgen. Mit dieser Aussicht hatte er etwas, an das er sich festhalten konnte. Ein Ziel vor Augen. „Ich glaube schon. Wie viele Tage noch?“
„Drei. Bis dahin musst du durchhalten.“
Später am Abend saß er vor der Bildschirmwand, umgeben von sechs Studenten, die an seinen Lippen hingen, und aufgeheitert von einem großen Becher Kaffee samt Schokolade.
„Beschäftigen wir uns als Erstes mit unseren hydroakustischen Methoden, die auf dieser Fahrt zum Einsatz kommen.“ Er nippte an dem starken Gebräu und ließ ein Stück Schokoriegel folgen. Ungeduldiges Geräusper erklang, während er genüsslich auf der Mischung herumkaute.
„Um ein möglichst detailliertes Abbild des Meeresbodens zu erlangen“, begann er schließlich, „fahren wir mit dem Multibeam und dem Atlas Parasound Profile quer zum Kontinentalhang. Während der Tage, die ihr dort hinten auf dem Wandkalender rot angemarkert findet, fahren wir 24-Stunden-Schichten. Jeder von euch wird abwechselnd eine Nacht als Wache vor den Geräten verbringen.“
„Sind Sie auch mit dabei?“, flötete Susan, die blonde Studentin, die er bereits hatte kennenlernen dürfen. „Falls ja, übernehme ich gern sämtliche Nachtschichten.“
Er blockte den Annäherungsversuch mit der üblichen Masche ab. Ein sanftes Lächeln, ein unbeeindruckter Blick sowie eine wohldosiert feste Stimme. „Während der Tage, die ihr hier verbringt, werde ich immer anwesend sein. Aber ich lasse nicht zu, dass deine Aufmerksamkeit leidet und wir ergo die Ergebnisse der Messgeräte im schlimmsten Fall als nutzlos betrachten müssen. Falls es dir also nicht möglich sein sollte, dich in meiner Anwesenheit zu konzentrieren, müssen wir über einen adäquaten Ersatz nachdenken.“
„Kein Problem, Dr.
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