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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Wo sich alle Elemente treffen: Erde und Luft, Feuer und Wasser. Aber –«
    »Es ist eine Scheißkletterei«, warf Roth ein.
    »Aber mein Lord dachte, dass Sie in Ihrer ersten Nacht ein bisschen Privatsphäre vorziehen würden«, fuhr Iestyn ungerührt fort.
    Roth kicherte.
    Lucy schoss das Blut ins Gesicht. Sie redeten nun nicht mehr über das Bad. Conns Kleider hingen im Schrank. Dies war sein Zimmer. Sie wich einen Schritt zurück und hoffte, die Jungen würden ihr plötzliches Erröten auf das Feuer schieben. Sie räusperte sich. »Ich wette, dass ihr es genießt. Eure eigene heiße Quelle zu haben, meine ich.«
    »O ja«, erwiderte Roth düster. »Wenn es einem nichts ausmacht, dass einem Dämonen auf den Hintern schauen.«
    Iestyn glitt der Eimer aus der Hand, und Wasser spritzte aus der Wanne.
    Roth sprang fluchend zurück. »Schwachkopf!«
    »Hier.« Lucy ging, ermutigt durch ihr Gezänk, mit einem Handtuch bewaffnet zwischen sie. Sie war froh, etwas tun zu können. Schließlich waren sie noch Jungen.
    Sie wischte das Wasser auf, während das Feuer zu prasseln begann und die Jungen mit noch mehr Eimern hereinkamen und wieder hinausgingen. Rote Schatten tanzten auf dem Kamin. Unter der Regenjacke kroch ein Rinnsal aus Schweiß Lucys Wirbelsäule hinab. Sie sah von der halb vollen Wanne zur offenen Tür und seufzte. Sie würde sich vor den Jungen nicht ausziehen. Aber sie fing schon an, sich zu entspannen, eingelullt von dem Feuer und dem unkomplizierten Hickhack der beiden und beruhigt von der Aussicht auf das Bad und saubere Kleidung.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, öffnete sie den Schrankkoffer.
    Ein langer, roter Mantel mit Knöpfen lag obenauf. Sie hob ihn vorsichtig hoch; Lavendelduft stieg aus dem Stoff empor. Darunter fanden sich akkurate Stapel mit dünnen Schlüpfern und dicken Socken, vergilbten Unterhemden und hellen Tüchern sowie robuste Kleider von unbestimmter Farbe und Schnittweise. Zweifelnd sah sie sich einige der Kleider an. Die Taillen waren wespenhaft, die Schultern eng geschnitten. Bei ein paar Teilen war sie sich sicher, dass sie passen würden: ein Cape mit Kapuze aus tiefgrünem Samt, eine wattierte türkisfarbene Robe und ein seidenes Nachthemd, das von Verführung flüsterte.
    Alles war sauber und zerknittert, als hätte es lange Zeit unbenutzt dort gelegen. Lucy runzelte die Stirn. Sehr lange Zeit.
    Als die Jungen zurückkehrten, war Lucy gerade damit beschäftigt, die Falten aus dem grünen Cape zu streichen. Sie versuchte, nicht darauf zu achten, dass ihre Hand auf dem Samt zitterte. »Eure Lehrerin, Miss March – wie alt war sie?«
    Iestyn sah überrascht aus. »Fast hundert, schätze ich.«
    Lucys Herzschlag beschleunigte sich. Ihr Argwohn wuchs. »Und wie lange ist es her, dass sie gestorben ist?«
    »Ich habe keine …«
    Kera tauchte wieder auf und legte einen silbernen Handspiegel auf einen der Stühle. »Fünfzig Jahre.«
    Iestyn nickte. »Vielleicht auch länger.«
    »Aber ihr habt sie gekannt. Sie hat euch unterrichtet.« Ihr Mund wurde trocken.
Vor über fünfzig Jahren.
    »Aye.« Roths Grinsen offenbarte starke weiße Zähne. »Der Prinz sagte, er wolle uns nicht wie kleine Wilde aufwachsen lassen.«
    »Aber wir waren die Letzten«, setzte Kera hinzu. »Oder fast.«
    Iestyn stellte einen weiteren Eimer vor dem Kamin ab. »Dann kam noch Dylan.«
    »Aber er hatte sich schon verwandelt, bevor er hierher kam«, sagte Roth.
    »Wir waren die Letzten auf Sanctuary«, wiederholte Kera.
    Lucy befeuchtete ihre Lippen. Ihr Pulsschlag dröhnte in ihren Ohren. »Die letzten was?«
    Iestyn sah sie mit großen goldenen Augen an. »Na ja – die letzten Kinder eben.«
     
    Conns Turm schaute übers Meer. Doch trotz des Ausblicks nach Westen auf den Sonnenuntergang, des Ausblicks nach Osten auf den sich purpur färbenden Himmel, des Luftzugs, der über die mächtigen Steinsimse wehte und über den Boden fegte, war die Luft dick und schwer zu atmen. Er spürte den Druck in seiner Brust. Die Anspannung im Raum war mit Händen zu greifen.
    Ein halbes Dutzend Wächter hatten sich um die Landkarte versammelt, die auf dem großen Tisch ausgebreitet war. Sein Blick verweilte auf ihnen. Griff, so zuverlässig wie die Mauern eines Schlosses. Morgan aus den nördlichen Tiefen, im Schwarz und Silber des Finnvolks. Enya, deren Brust so weiß und rundlich war wie die Perlen in ihrem Haar. Brychan. Kelvan. Ronat. Sie drängten sich zusammen, ohne einander zu berühren, schützten ihren

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