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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Frankreich betreten. Ohne Liam, Niclas und Pine, denn
für seine Kameraden hatte er andere Pläne. Verantwortungsvolle Aufgaben,
die sie zweifellos ganz in seinem Sinne erfüllen würden.
    Die Erinnerung an ihren ersten Landgang verblasste allmählich.
Inzwischen wusste Kyan kaum noch, wie die beiden Mädchen aussahen,
die er mit seinen Küssen ertränkt hatte. Und auch Liam schien
Olivia längst vergessen zu haben. – Gut so!
    Kyan wollte sich nicht mit der Vergangenheit belasten. Was zählte,
waren Gegenwart und Zukunft.
    Allmählich wurde es Zeit, nach Elodie Ausschau zu halten.

»Was ist mit deinem Job?«, fragte ich meine Mutter, als ich sie
gut eine Woche später am Montagvormittag in den
Lübecker
Nachrichten
vergraben an dem kleinen Holztisch in der Küche
vorfand.
    »Den hab ich geschmissen«, sagte sie, ohne aufzuschauen.
    »Aha?« Ich sank ihr gegenüber auf die Bank und starrte auf
schwarze Schriftzeichen, Fotos von irgendwelchen Politikern
und eine Karikatur, in der die Akropolis, der Eiffelturm und
das Brandenburger Tor zu einer einzigen ziemlich maroden
und mit Graffitis aus Eurozeichen verunstalteten Sehenswürdigkeit
zusammengebaut worden waren. »Aber doch wohl
nicht meinetwegen?«
    »Nicht nur, Elodie«, entgegnete Mam. Anstatt die Zeitung
zusammenzufalten, ließ sie sie einfach auf den Boden segeln.
»Ehrlich gesagt, arbeite ich schon seit einem Monat nicht
mehr.«
    »Ja«, sagte ich und ließ meinen Blick über ihr schmales Gesicht
gleiten. »Das ist mir auch schon aufgefallen.«
    Trotz des sonnigen Wetters, das wir in den letzten Tagen
gehabt hatten, war sie ungewöhnlich blass. Ihre Haut wirkte
trocken und faltig und ihren Augen fehlte der Glanz.
    »Es geht dir nicht gut«, stellte ich fest.
    »Nein.« Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. »Aber das
hat auch nicht nur mit dir zu tun, falls du das denkst.«
    Ich senkte den Kopf und biss mir in die Unterlippe. Hätte
ich mir die Bemerkung doch bloß verkniffen! Warum hatte ich
sie überhaupt so genau angeschaut?
    »Es tut mir leid«, hörte ich mich sagen.
    »Was meinst du damit?« Ich spürte Mams verwunderten
Blick auf mir. »Was tut dir leid?«
    »Ach, nichts.« Ich war eindeutig nicht in der Verfassung, ein
ernstes Gespräch zu führen, und deshalb war es sicher besser,
wenn ich mich wieder in mein Zimmer verzog.
    Doch meine Mutter ließ mich nicht gehen. Als ich mich erhob,
umfasste sie sofort mein Handgelenk und sagte: »Du bist
schrecklich unglücklich, Elodie. Und ich … ich bin es auch.«
    Ich verharrte in der Bewegung, unfähig, mich zu wehren.
    »Bitte setz dich wieder hin«, sagte sie leise.
    Ich wollte nicht hier sein, wollte nicht zuhören und tat
trotzdem, was sie von mir verlangte. Langsam sank ich auf die
Bank zurück.
    »Ich habe gedacht, ich wäre stark.« Ihre Stimme zitterte. »Ich
habe gedacht, ich schaff das schon.«
    Mein Hals wurde eng. Ich schluckte und schluckte, aber das
Gefühl ging nicht weg, sondern breitete sich nun langsam über
meine ganze Brust aus.
    »Es würde schon werden, wenn ich einfach weiter meine Arbeit
mache, meine Freunde treffe, nicht in Trauer versinke und
für dich da bin«, fuhr Mam stockend fort. »Das zumindest
habe ich mir eingeredet. Aber es hat nicht funktioniert.« Sie
ließ mein Handgelenk los und tat einen tiefen Atemzug. »Drei
Wochen, nachdem du nach Guernsey aufgebrochen warst, ist
mein ganzes schönes Kartenhaus in sich zusammengefallen.
Ich konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr ausgehen, mich
nicht mehr über alltägliche Dinge unterhalten, nichts mehr.«
    »Aber …«, sagte ich. Mehr brachte ich nicht heraus.
    »Ich habe versucht, mir dir gegenüber nichts anmerken zu
lassen. Ich wollte, dass du den Verlust deines Vaters unbelastet
verarbeiten kannst.« Meine Mutter presste ihre Lippen zusammen,
und ich sah, wie sehr sie gegen die Tränen ankämpfte.
»Die ganze Zeit über habe ich mich bemüht, fröhlich und ausgeglichen
zu wirken.« Sie schlug sich die Hand vor die Stirn
und schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst nicht fassen.
»Das Ganze ging sogar so weit, dass ich mich, als du zurückkamst,
wie eine Idiotin aufgeführt habe.«
    »Mam, dafür hast du dich doch schon entschuldigt«, flüsterte
ich.
    Die Enge in meinem Hals und in meiner Brust war mittlerweile
unerträglich.
    »Ich weiß. Ich weiß.« Sie nickte.
    »Gordian ist nicht tot«, flüsterte ich. »Wir sind bloß nicht
mehr zusammen.«
    Meine Mutter wischte sich über die Augen, dann richtete
sie ihren

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