Weile einfach so da, starrte auf den Bildschirm
und wartete, dass irgendwas passierte.
Doch weder wurde es schlagartig Morgen noch stürzte das
Haus über mir zusammen oder schlug irgendwo der Blitz ein.
Es machte nicht einmal Knack in mir.
»Alles okay, Elodie, es ist alles in Ordnung«, hörte ich mich
murmeln.
Zwei Wochen waren inzwischen vergangen und auf Sark
und Guernsey war alles ruhig geblieben. Es hatte keinen weiteren
Mord gegeben und die Mädchen dort schienen auch nicht
in einen kollektiven Liebeswahn gefallen zu sein. Okay, Cecily
Windom hatte versucht, aus der Klinik zu fliehen. Das musste
aber nicht zwingend etwas mit ihren düsteren Prophezeiungen
zu tun haben, sondern konnte auch ganz einfach daher rühren,
dass sie sich dort fremd und eingesperrt fühlte. Und deshalb
schockierte mich ihr Ausbruchversuch auch überhaupt
nicht, im Gegenteil: Die alte Silly tat mir leid. Obwohl sie mir
unheimlich war, verstand ich sie sehr gut, seltsamerweise empfand
ich sogar eine gewisse Verbundenheit mit ihr. Es war ein
beklemmendes Gefühl, das ich nicht weiter ergründen wollte
und daher schnell beiseiteschob.
Lieber konzentrierte ich mich auf den Gedanken, dass Kyan,
Zak und Liam es offenbar nicht noch einmal geschafft hatten,
an Land zu kommen.
Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie sich das Leben
auf den Inseln allmählich wieder normalisierte.
In ihrem eigenen Interesse würden die Haie sich wahrscheinlich
unauffällig verhalten, bis Gras über die Sache gewachsen
war. Die Kriminalpolizei und das Londoner Wissenschaftsinstitut,
das die DNA-Analyse von den Nixspermien und Elliots
Körperzellen gemacht hatte, würden ihre Erkenntnisse
für sich behalten, und die
Mörderbestie,
die im März 2012 zwei
Mädchen ermordet hatte, würde in einigen Jahren nur noch
Legende sein.
Tja, und was Cyril betraf – dass er der Sohn von Javen Spinx
war, hätte ich niemals vermutet, denn die beiden ähnelten sich
rein äußerlich überhaupt nicht. Auf der anderen Seite überraschte
es mich aber auch nicht. Genau genommen war es
mir sogar egal … Das Einzige, was mich wirklich ärgerte, war
sein lapidares – und vor allem viel zu spätes – Geständnis, dass
er derjenige gewesen ist, der Mitte April in meinem Zimmer
war. Damals hatte Cyril nicht nur mit meiner Angst gespielt,
sondern das Ganze auch noch den Delfinnixen anlasten wollen.
– Ein weiterer Minuspunkt auf meiner Sympathie-Skala!
Aber was bedeutete das schon? Ich würde Cyril ohnehin nie
wiedersehen!
Ruby und Ashton bereiteten mir da schon etwas mehr Kopfzerbrechen.
An sie zu denken, tat einfach nur weh.
Doch ich durfte sie nicht länger im Ungewissen lassen. Sie
waren meine Freunde, die Einzigen, die wussten, wer ich war,
und die meinen Schmerz verstehen konnten. Sie litten ebenfalls
und hatten ein Recht darauf zu erfahren, was mit mir los
war.
Von: Elodie Saller Elodie.
[email protected] Gesendet: Samstag, 5. Mai 2012 23:04
An: Ruby Welliams, Ashton Clifford
Betreff: eure E-Mails
Liebe Ruby, lieber Ashton,
es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht bei euch gemeldet habe,
aber ich habe es einfach nicht geschafft, das, was passiert ist, in Worte
zu fassen.
Und es fällt mir auch jetzt immer noch unsagbar schwer.
Javen Spinx hat mir klargemacht, dass ich nicht weiter mit Gordy zusammenbleiben
darf. Delfinnixe und Hainixe würden sich bekriegen und
nicht nur sie, sondern vor allem die Menschen auf den Inseln würden
darunter leiden.
Ja, Ruby, ich weiß, was du jetzt denkst, aber ich sage dir: Es gibt keinen
Ort auf der Welt, an dem Gordy und ich auf Dauer leben könnten. Wo
auch immer wir wären, würden wir zwischen die Fronten geraten.
Er ist ein Plonx, das scheint seine Bestimmung zu sein. Möglicherweise
hat das Meer sogar eine besondere Aufgabe für ihn vorgesehen. Wie
auch immer: Das alles hat nichts mit mir zu tun.
Und deshalb werde ich versuchen, ihn – und mit ihm auch meine Zeit
auf Guernsey – zu vergessen und hier in Lübeck noch einmal von vorn
zu beginnen.
Ich liebe euch.
Elodie
Der volle Mond stand hoch am nachtschwarzen Himmel und brachte
mit seinem Licht die winzigen Sandkörner des Strandes in der Belvoir
Bay zum Funkeln.
Kyan stand bis zu den Knien im Wasser und blickte aufs Meer hinaus.
Die Luft war so klar, dass er in der Ferne die französische Küste
ausmachen konnte.
Das europäische Festland war sein Ziel. In genau drei Wochen,
am Ende des Monats Mai, würde er zum dritten Mal aus dem Meer
steigen und