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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Notlügengeschichte
fortzuspinnen, und steckte mir ein weiteres Stück Quiche in
den Mund. Ich kaute langsam und genüsslich, zum einen, um
meiner Großtante zu signalisieren, dass ihr auch diese Mahlzeit
wieder einmal hervorragend gelungen war, zum anderen,
um etwas Zeit zu gewinnen, damit ich nicht im Eifer des Gefechts
etwas Unüberlegtes äußerte.
    »Gordian ist so etwas wie ein Marathonschwimmer«, fing
ich schließlich mit meiner Erklärung an. »Im nächsten Jahr
möchte er den Ärmelkanal durchqueren …«
    Erneut bogen sich Tante Graces Brauen nach oben, darüber
hinaus registrierte ich das Blitzen in Gordys Augen. Unauffällig
zwinkerte er mir zu. Eine meiner leichtesten Übungen,
schien er damit sagen zu wollen, und ich hatte Mühe, ein Kichern
zu unterdrücken.
    »Na ja«, fuhr ich nach einem weiteren Stück Quiche fort.
»Und um seine Kondition zu trainieren, schwimmt er jeden
Tag zwischen der Cobo, Vazon und Perelle Bay hin und her.«
    »Verstehe«, sagte meine Großtante. »Er schwimmt und du
transportierst seine Kleidung. Auf dem Fahrrad, nehme ich
an?«
    Ich antwortete mit einem Nicken. Vielleicht hätte ich noch
erwähnen sollen, dass ich hin und wieder auch etwas für ihn
auswusch und im Badezimmer trocknete, aber ich ließ es sein.
Je weniger ich diese Schwindeleien in Worte fasste, umso weniger
unbehaglich fühlte ich mich. Ohnehin wunderte es mich,
dass Tante Grace nicht noch einmal nachhakte, wieso ich Klamotten
von Gordian bei mir im Zimmer aufbewahrte. Doch
eine andere Frage beschäftigte sie offenbar mehr.
    »Und warum hast du mir diesen reizenden, sportlichen jungen
Mann bisher nicht vorgestellt?«
    »Es hat sich einfach nicht ergeben«, erwiderte ich.
    »Weil er sich die meiste Zeit im Wasser aufgehalten hat?«
    Die Spitze in ihren Worten war nicht zu überhören – sogar
Gordy zuckte darunter leicht zusammen –, und ich fragte mich
ernsthaft, ob es sich dabei wieder einmal bloß um Tante Gracies
unübertroffene Ironie handelte oder ob sie nicht vielleicht
doch etwas über die Existenz der Nixe wusste oder zumindest
davon ahnte. Jedenfalls versuchte ich, mir nichts von meiner
Unsicherheit anmerken zu lassen, und parierte ihren Angriff
mit einem treffsicheren Konter: »Ja, oder weil du gerade mit
deinen Nähkursen beschäftigt warst.«
    »Ach so«, sagte sie nur und kaute eine Weile schweigend vor
sich hin, bevor sie wieder in die Offensive ging. »Und wo wohnen
Sie zurzeit, Gordian … wie war noch gleich Ihr Nachname?«
    »Smith«, beeilte ich mich zu sagen, ehe Gordy womöglich
noch in Verlegenheit geriet.
    »Im Freien, Mrs Shindles«, fügte er seelenruhig hinzu. »Wenn
es nicht gerade regnet.«
    »Er liebt es, im Zelt zu übernachten«, sagte ich. »Hin und
wieder, wenn es sehr kalt und nass war, ist er bei jemandem
aus Rubys Clique untergekommen. Daher kenne ich ihn ja
auch.«
    Tante Grace nickte, legte ihr Besteck beiseite und tupfte sich
sorgsam die Mundwinkel. »Ich könnte Ihnen eine Wohnung
drüben im Gästehaus anbieten. Das Ehepaar, das ursprünglich
in der nächsten Woche anreisen wollte, hat nämlich abgesagt
«, erklärte sie schulterzuckend. »Dann wären Sie in Elodies
Nähe und hätten es auch mit Ihrer Kleidung etwas weniger
umständlich.«
    »Oh«, sagte Gordy. »Das ist wirklich … sehr nett.«
    Das war es in der Tat, und weit mehr, als ich erwartet hätte.
Andererseits passte es aber auch wieder zu meiner Großtante.
Wenn Gordy im Gästehaus wohnte, hatte sie die Situation
unter Kontrolle. Das zumindest glaubte sie wohl.
    »Und nun, mein lieber Gordian, entspannen Sie sich und
fangen Sie an zu essen, bevor es kalt wird«, sagte sie dann und
tätschelte sachte seine Hand. »Wenn Elodie wirklich so viel an
Ihnen liegt, sind Sie mir herzlich willkommen.«

    Kyan war als Erster beim Sirenenriff, wie die Delfinnixe die große,
ähnlich einer Haiflosse geformte und mit Seetang überwucherte Felsformation
nahe der bretonischen Küste nannten. Beim Kampf mit dem Plonx hatte er sich zwei Rippen gebrochen, was seinen Hass auf
die Menschen umso mehr anfachte.
    Elliot war tot.
    Das Bild, wie die Menschen eine Harpune durch seinen Leib bohrten,
ihn aus dem Wasser zogen und so lange mit ihren Knüppeln auf
ihn einschlugen, bis er schließlich reglos liegenblieb, hatte sich wie ein
Geschwür in Kyans Gehirn gefressen, und er wusste, er würde es erst
wieder loswerden, wenn er diesen hinterhältigen, bestialischen Mord
an seinem Freund gerächt hatte.
    Zak und Liam ging es

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