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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Bus nach St Peter Port.
    »Wolltest du mir heute Morgen nicht etwas über deine Vergangenheit
erzählen?«, tastete ich mich zaghaft vor. Ich hielt es
einfach nicht länger aus, darauf zu hoffen, dass er von sich aus
damit begann.
    Gordy schaute mich an. Dann richtete er seinen Blick über
die Straße hinweg zum Meer. Es lag ruhig und petrolfarben
da und der Himmel darüber war dicht mit grauen Wolken
bedeckt. Wir brauchten uns also keine Gedanken darüber zu
machen, irgendjemandem könnte auffallen, dass Gordy keinen
Schatten warf.
    »Ja«, sagte er zögernd.
    »Das mit der Bestimmung ist also nicht alles gewesen?«
    »Nein.« Er hob die Schultern. »Das hat ja im Grunde auch
mit mir gar nichts zu tun.« Er sah mich noch immer nicht an.
    »Abgesehen davon, dass es deine Eltern betrifft«, betonte
ich.
    Gordy nickte und schwieg.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich wollte dich nicht unterbrechen.
«
    »Das hast du nicht«, erwiderte er. »Ich suche nur nach den
passenden Worten.«
    Wieder spürte ich diesen fiesen Stich in der Brust. Gordy
wusste also nicht, wie er ES mir, was auch immer es war, beibringen
sollte. Eine Kleinigkeit konnte es demnach nicht sein.
Unruhig rutschte ich auf der Mauer hin und her, und dann
fingen auch noch meine Knöchel an zu brennen, was ich am
liebsten ignoriert hätte. Es nervte mich, dass ich mich mit diesem
lästigen Phänomen, nachdem es für eine Weile völlig verschwunden
schien, nun erneut herumschlagen musste, und
das, obwohl ich meine Angst vor Wasser längst überwunden
hatte.
    »Sag es doch einfach«, forderte ich Gordian auf. Ich wollte
es jetzt endlich wissen.
    »Kannst du es dir nicht denken?«, fragte er so leise, dass ich
es kaum verstand.
    »Nein«, sagte ich ungeduldig. »Wenn du keine Freundin hattest,
dann weiß ich auch nicht, was es sein könnte.«
    »Na ja, ich hatte keine
feste
Freundin.«
    »Also hattest du doch eine!«, stieß ich aus. »Wieso gibst du
das denn nicht einfach zu?«
    Das Brennen stieg an den Außenseiten meiner Unterschenkel
hinauf und erreichte meine Knie. Meine Ungeduld drohte
sich zu einem Wutanfall auszuwachsen.
    »Weil es nicht bloß eine war«, sagte Gordy stockend. »Sondern
mehrere. Um genau zu sein: viele.«
    Ich warf den Kopf in den Nacken und schnaubte laut aus.
Dann sprang ich von der Mauer hoch. Ich wollte ihm Vorwürfe
machen, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Warum
hatte er heute Morgen überhaupt davon angefangen? Hätte er
diese Sache nicht für sich behalten können? Mit einem Mal
schien das, was zwischen uns war, austauschbar und wertlos
zu sein.
    »Elodie«, wisperte Gordian. Er versuchte, mir in die Augen
zu sehen, doch sein Blick glitt immer wieder zur Seite. Seine
karamellfarbene Gesichtshaut war ganz fahl geworden, und
um seinen Mund lag ein Zug, als ob er unter heftigen Schmerzen
litt. »Wenn ich geahnt hätte, dass ich dich treffen würde …
Ich hätte niemals …«
    »Warum hast du es mir überhaupt gesagt?«, presste ich
hervor. Meine Augen brannten nun fast so heftig wie meine
Beine, aber ich kämpfte tapfer gegen die aufsteigenden Tränen
an. Ich wollte nicht heulen. Nicht in aller Öffentlichkeit und
schon gar nicht vor Gordy.
    »Weil ich dir nichts verschweigen will, Elodie«, flüsterte er.
    »Du sollst wissen, wer ich bin. Auch wenn ich mich dafür zu
Tode schäme.«
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff. Und dann
wäre ich selbst vor Scham fast im Boden versunken. Gordian
merkte sofort, was mit mir los war, und zog mich in seine
Arme. Ich sackte auf seinen Schoß, klammerte mich an ihn
und hörte nicht auf, »Es tut mir leid, es tut mir so leid, bitte
verzeih mir« zu murmeln.
    »Ich habe dir nichts zu verzeihen«, sagte er leise an meinem
Ohr. »Ich möchte nur, dass du verstehst, warum ich mich
nicht … nicht so schnell …
noch
nicht mit dir vereinen kann.
Es würde all das, was ich für dich empfinde …«
    »Schsch!« Hastig legte ich ihm meine Finger auf die Lippen.
»Schon gut. Ich habe dich doch längst verstanden.«
    Gordy sah mich an und ich ließ mich von seinem türkisgrünen
Blick gefangen nehmen. Noch immer raubte er mir
damit den Atem, aber es glich keinem Ersticken mehr, sondern
fühlte sich einfach nur richtig an. Ich spürte, dass ich zu
ihm gehörte, dass es eine Schicksalsmacht sein musste, die uns
zusammenhielt, und von einem Augenblick auf den nächsten
war alles vergessen, was mir eben noch so tief ins Herz
geschnitten hatte.
    Sanft schob Gordy meine Hand zur Seite.

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