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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Bitte, ich will das alles nicht.«
    Gordian drückte zaghaft meine Hand und nickte. »Schon
gut«, sagte er leise. »Tut mir leid.«
    Seine Lider flackerten, was mich zutiefst beunruhigte. Er
war nicht überzeugt, er zweifelte, das war ihm deutlich anzusehen,
und ich verfluchte meine Gedankenlosigkeit, Cyril überhaupt
erwähnt zu haben.
    »Komm, bitte. Ich möchte keine Sekunde länger hierbleiben. Die vielen Menschen, die Stadt, ich glaube, das alles tut
uns nicht gut«, sagte ich und Gordian folgte mir bereitwillig.
    Vielleicht ist es auch einfach die verkehrte Seite der Insel,
schoss es mir durch den Kopf. Die Nähe zu Sark und damit zu
Cyril – und zu den beiden ermordeten Mädchen.
    Unwillkürlich glitt mein Blick zum Hafenbecken. Es war
Niedrigwasser, nur die Spitzen der Segelmasten ragten hinter
der Kaimauer auf. Das Meer wogte dunkelgrau und die
Festung reckte ihre Zinnen trotzig gegen einen unsichtbaren
Feind in den ebenso grauen Himmel. Sark war nur als Schemen
zu erkennen, der in weiter Ferne den Horizont durchbrach,
unfassbar und unheimlich, aber so deutlich, als besäße
diese kleine Insel die Macht, sich auf Guernseys Küste – auf
mich! – zuzubewegen.
    Ein Feuer raste meine Schenkel hinauf, so heiß und glühend
wie kaum jemals zuvor, und einen Atemzug lang hatte
ich das Gefühl, ohnmächtig zu werden.
    Und dann bemerkte ich ihn!
    Zügig schritt er zwischen den parkenden Autos der Hafenarbeiter
hindurch auf Castle Cornet zu. Seine Bewegungen
waren so geschmeidig gleitend, wie ich sie in Erinnerung hatte,
sehr viel eleganter noch als die von Cyril, Gordy oder einem
der anderen Nixe, doch erst der flüchtige Blick auf sein scharf
geschnittenes Profil und das dichte dunkelblonde Haar räumten
jeden Zweifel aus. Der Mann dort war unverkennbar Javen
Spinx!
    Es war wie ein Reflex. Ohne nachzudenken, um mich zu
schauen oder mich um Gordian zu kümmern, rannte ich los.
    Ich vernahm das aufgeregte Hupen, die kreischenden Bremsgeräusche
und das Quietschen blockierter, über den Asphalt rutschender Autoreifen, doch ich war schlicht nicht in der
Lage, meinen Lauf zu stoppen.
    Auf der schmalen, nur durch weiße Linien abgegrenzten
Straßeninsel kam ich ins Stolpern. Ich hörte Gordy hinter mir
schreien, und ich registrierte, dass Javen Spinx sich umgedreht
hatte und nun wie hypnotisiert zu mir herüberstarrte.
    Von rechts raste der dunkle Schatten eines Lkws auf mich
zu, auf der Spur daneben schoss ein roter Renault vorbei, dem
weitere Wagen folgten. Ich riss die Arme hoch und versuchte,
einen Schritt rückwärts zu machen, aber ich hatte einfach
noch zu viel Schwung und taumelte weiter nach vorn auf die
Fahrbahn. Ich bildete mir bereits ein, den Aufprall meines
Körpers auf Metall zu spüren, da veränderte sich innerhalb
eines Sekundenbruchteils die Umgebung. Stimmen und Geräusche
verschmolzen zu einem einzigen lang gezogenen,
dumpfen Ton, und die Autos kamen plötzlich nur noch so
langsam voran, als hätte man sie in den Zeitlupenmodus versetzt.
Bloß ich bewegte mich noch in meiner gewohnten Geschwindigkeit.
    Im Nu war ich vor dem Lkw weg- und zwischen einem Ford
und einem weißen Transporter hindurchgehuscht und hatte
die andere Straßenseite erreicht.
    Javen Spinx wandte sich ab und hinter mir lief der Verkehr
normal weiter.
    »Mein liebes Kind«, sagte eine alte Dame neben mir. Ihre
Stimme bebte und der Schreck hatte sämtliche Farbe aus ihrem
Gesicht weichen lassen. Zögernd streckte sie ihre schmale faltige
Hand aus und betastete mich, als müsste sie sich davon
überzeugen, dass ich noch lebte. »Da haben Sie aber eine ganze
Armee von Schutzengeln gehabt!«
    »Ja«, sagte ich und warf einen Blick in Richtung Festung.
    Javen Spinx war weitergegangen. Ich murmelte der alten
Dame eine Entschuldigung zu und raste los.
    »Hey! Bitte! Mister Spinx!«, brüllte ich. »Warten Sie doch!«
    Alle drehten sich zu mir um, nur Javen Spinx beachtete mich
nicht. Ich fluchte, schließlich stoppte ich und beugte mich keuchend
über das weiße Geländer des Hafenbeckens. Gut zwölf
Meter unter mir lagen die Jachten und Boote wie beinlose
Käfer im feuchten Schlamm. »Verdammt noch mal, was soll
denn das!«, schimpfte ich, da stand er auf einmal neben mir.
    »Kennen wir uns?«
    Ich hob den Kopf und sah ihn an. Seine Augen schimmerten
in einem Farbton, der mir völlig fremd und irgendwo
zwischen Blaugrün und Flieder anzusiedeln war. Der Wind
spielte mit einer Locke, die ihm elegant in die Stirn fiel, und
seine Haut

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