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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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aus dem Zimmer und die Treppe hinunterstürzte,
die Haustür hinter mir zuwarf und in den Garten hinauslief.
Noch während ich rannte, riss ich mir die Klamotten
vom Leib, bis ich nur noch Slip und BH trug, und dabei flog
ich geradezu die Terrassen hinunter auf die Klippen zu.
    Ein ganzes Stück weit draußen glaubte ich, zwei Köpfe zu
sehen, schwarz der eine, etwas heller der andere. Vielleicht irrte
ich mich auch; was das Meer anging, war ich mir inzwischen
ganz und gar nicht mehr sicher, wann etwas real oder bloß eingebildet
war. Es schien ein böses Spiel mit mir zu treiben, aber
darüber mochte ich jetzt nicht nachdenken, ich wollte einfach
nur verhindern, dass Gordian etwas zustieß.
    »Gordy!«, brüllte ich, so laut ich konnte. »Goooordiiiie!
Cyriiil! Cyril, bitte, tu ihm nichts an. Lass uns reden! Cyril,
bitteee!«
    Je näher ich dem Wasser kam, desto heftiger brannten meine
Beine. Ich spürte kaum noch den Boden unter den Füßen und
auch nicht die spitzen Unebenheiten auf den Steinen, die mir
in die Sohlen stachen.
    Es war nicht das erste Mal, dass ich ins Meer stürzte, aber
noch nie war es für mich vom Gefühl her so intensiv gewesen.
Es hatte etwas Endgültiges, Unabwendbares, denn es war mir
völlig egal, wie es ausging, und das machte mir die Entscheidung
leicht.
    Komm doch
!, flüsterte das Meer, während es dunkel gegen
die Klippen klatschte.
Du gehörst mir. Du hast schon immer mir
gehört. Und jetzt werde ich dich endlich besitzen.
    Du wirst nicht viel Freude an mir haben, dachte ich, als ich
zum Sprung ansetzte, es sei denn, es macht dir Spaß, Menschen
zu töten. Einen Moment nur kamen mir Mam und Sina
in den Sinn, und kurz bevor das Wasser über mir zusammenschlug,
hörte ich noch Ruby und Tante Grace schreien. Ihre
Stimmen verstummten mit dem Rauschen des Meeres in meinen
Ohren und ich sank langsam hinunter in trübes, undurchdringliches
Blau.
    Ich wusste, dass ich nur ein paar Minuten hatte, aber ich
wollte nichts unversucht lassen. Wenn Gordy noch lebte, wenn
ich ihn irgendwie retten konnte, dann wollte ich alles dafür
tun. Dass ich physisch dazu überhaupt nicht in der Lage war,
zählte dabei nicht. Es war gegen jede Vernunft, aber ich konnte
einfach nicht anders. Mein Inneres sagte mir, dass ich das einzig
Richtige tat.
    Und so überließ ich mich dem Ruf des Meeres, der mich
immer weiter in die Tiefe zog, den dunklen Riffen und dem
sandigen Grund entgegen. Das salzige Wasser brannte wie
Feuer auf meiner Haut, doch ich verspürte keine Angst, alles
kam mir ganz selbstverständlich vor. Ich glitt durch dieses
fremde Element, als ob es meine zweite Heimat wäre. Mein
Körper und das Meer waren eins. Es schmiegte sich an ihn
und floss durch ihn hindurch. Ich »ertrank« ja nicht zum ersten
Mal und kannte dieses unglaubliche Gefühl der Glückseligkeit,
das mich dabei durchströmte. Aber diesmal war es
anders. Intensiver. Geradezu überwältigend. Es berührte eine
wunde Stelle in meiner Seele, die offenbar so tief vergraben
gewesen war wie ein vor langer Zeit versunkener Schatz im
Ozean, an den sich niemand mehr erinnern konnte.
    Das Meer hatte auf mich gewartet und nun bekam es mich
zurück. Ich öffnete mein Herz und schwamm mit langen, freudigen
Zügen meinem Tod entgegen.
    Niemals war ich mir selbst näher gewesen als in diesen Sekunden,
und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich gar
nicht gestorben war.
    Ich spürte kein Brennen mehr, sondern ein Streicheln, das
so sanft wie eine Daunenfeder über meinen Körper glitt, und
ich sah gestochen scharf: Muscheln und Schnecken, die auf
dem weichen Meeresgrund lagen, wogende Algen und winzige
Krebse, die in den Spalten der Riffe verschwanden.
    Ich hatte die Arme eng an meinen Rumpf gelegt, meine
Hüften und meine Beine schlugen im Rhythmus unsichtbarer
Wellen und bewegten mich so schnell vorwärts, dass die
Fischschwärme, die mir entgegenkamen, erschrocken auseinanderstoben
und blitzartig zwischen den Felssteinen Zuflucht
suchten.
    Bei allem, was ich tat, atmete ich in vollen Zügen. – Ich atmete
Wasser! – Und im selben Augenblick, als ich das begriff,
erschrak ich so sehr, dass mir für einen Moment die Sinne
schwanden. Mein Körper erschlaffte und ich trudelte unkontrolliert
auf ein Riff zu. Kurz bevor ich dagegen zu schlagen
drohte, riss ich reflexartig die Hände hoch und stützte mich
an einem Felsvorsprung ab.
    Meine Arme zitterten und mein Herz pulsierte schnell und
fest. Obwohl ich ahnte, nein: wusste und fühlte,

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