Meeresrauschen
schob ich Gordys Hand beiseite. »Und
was machen wir jetzt? Können wir das irgendwie verhindern?«
»Nein. Aber natürlich werde ich nachsehen …«
Ich komme mit.
Nein, Elodie. Ganz sicher nicht. Ich werde auf keinen Fall zulassen,
dass Kyan noch einmal die Gelegenheit bekommt, dir etwas anzutun.
»Sei nicht albern«, erwiderte ich. »Seit meiner letzten Begegnung
mit ihm hat sich einiges geändert. Ich bin sicher, dass ich
ihm inzwischen gewachsen bin.«
Bist du nicht!
Gordy!
»Elodie.« Er umfasste meine Schultern und tauchte seinen
türkisgrünen Blick in meine Augen. »Bitte glaub mir, ich weiß
es besser«, sagte er eindringlich. »Und deshalb gehe ich allein.
Du bleibst unten im Haus bei deiner Großtante, und ich verspreche
dir, ich werde mich nicht auf eine Auseinandersetzung
mit ihnen einlassen. Ich will nur nachschauen, ob es ihnen
gelingt, an Land zu kommen.«
»Und wenn? Was ist dann?«
»Dann müssen wir neu nachdenken«, gab er ausweichend
zurück. »Vielleicht bleibt uns am Ende doch nichts anderes
übrig, als meine Familie zu suchen und um Hilfe zu bitten.«
Das schien mir kein schlechter Plan zu sein. Sollten Kyan,
Zak und Liam tatsächlich heute auf Sark oder Guernsey an
Land gehen, wären sie die nächsten vier Wochen an die Kanalinseln
gebunden und Gordy könnte gefahrlos in den Atlantik
hinausschwimmen.
Aber dann durchzuckte mich ein erschreckender Gedanke.
»Was ist, wenn Jane uns getäuscht hat?«, fragte ich. »Wenn
sie Javen Spinx nicht um Hilfe bittet, sondern die Haie zusammentrommelt
und …«
»Das glaube ich nicht«, fiel Gordian mir ins Wort. »Sie wird
nichts tun, was mir schadet.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?« Es machte mich verrückt,
dass er auf Jane nichts kommen lassen wollte. Er kannte
sie doch gar nicht!
Ich weiß es einfach!
Aber sie ist eine Hainixe,
hielt ich dagegen.
Es könnte ihr Talent
sein.
Gordy schwieg.
»Auch das glaube ich nicht«, sagte er schließlich. »Ihre Gefühle
waren echt. Da bin ich mir ganz sicher.«
Es blitzte in seinen Augen und sein Mund verzog sich zu
einem Lächeln. Doch noch ehe sich das kleine Grübchen über
seiner Oberlippe gebildet hatte, hatte ich meinen Blick gesenkt.
Ich wollte mich nicht von ihm beruhigen lassen. Nicht
jetzt, und schon gar nicht, wenn er dadurch meine Entschlusskraft
zu schwächen versuchte.
»Wie auch immer«, entgegnete ich entschieden. »Ich lasse
dich auf keinen Fall alleine gehen. Wo willst du überhaupt
nach ihnen suchen? Hier an der Küste? Oder auf Sark?«
Gordy ließ seine Hände von meinen Schultern gleiten und
wandte sich dem Fenster zu. »Sobald die Sonne untergegangen
ist, werde ich zur Südküste schwimmen und mich eine Weile
dort aufhalten, um mögliche Signale von ihnen zu empfangen
«, antwortete er. »Es könnte sein, dass sie sich zuerst an ein
paar anderen Mädchen auf Sark abreagieren wollen.«
Das müssen wir verhindern! Es darf kein Opfer mehr geben.
Gordy reagierte nicht, sondern stand vollkommen reglos da
und schwieg beharrlich. Ich konnte keinen einzigen seiner Gedanken
auffangen.
»Wir schaffen es nicht, stimmt’s?«, fragte ich mit einem Zittern
in der Stimme. »Wir können es nicht verhindern.«
»Nein«, sagte er. »Weder können wir sie im Kampf besiegen
noch irgendein Mädchen davon abhalten, sich auf sie einzulassen.
«
»Es ist also absolut sinnlos …«
»Daran will ich nicht denken.«
Ich starrte auf die samtige Haut in seinem Nacken und die
wirren blonden Locken, die sich dort kräuselten, und tiefe
Verzweiflung überfiel mich.
Du darfst dich nicht in Gefahr begeben, Gordy, das lasse ich nicht
zu.
Ich kann aber auch nicht hierbleiben und die Augen verschließen,
gab er zurück.
Hätte ich mich dem, was mich an Land gezogen hat,
mit meiner ganzen Kraft widersetzt, wäre das alles nicht passiert.
Lauren und Bethany wären noch am Leben und Kyan könnte es nicht
noch einmal versuchen …
»Es ist nicht deine Schuld!«, unterbrach ich ihn flehend.
»Das darfst du nicht einmal denken.«
Gordians Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug,
dann drehte er sich zu mir um. »Wessen Schuld ist es dann?«,
erwiderte er. »Die des Meeres?« Er schüttelte den Kopf. »Ich
hätte nie an Land kommen dürfen.«
»Aber dann wären wir uns nicht begegnet!«
Gordy senkte den Blick.
Ich will dich nicht verlieren!
»Ich dich auch nicht, Elodie!«, wisperte er. »Und deshalb
bitte ich dich: Lass mich allein nachsehen. Ich bin erfahrener
als du, kenne jede
Weitere Kostenlose Bücher